Kultur in einem Konzentrationslager – Kriegsgefangene der internationalen Brigaden in San Pedro de Cardena im Jahr 1938. Von Morgan Havard, Vorsitzender des Verbandes der Internationalen Brigade, London Januar 1944.

Kultur in einem Konzentrationslager

ALBA Volunteer. 18. Dezember 2016. Von Chris Brooks

Sturm aus der Vergangenheit ist eine Serie von Abdrucken von Artikeln über historische Ereignisse im Volunteer. 

Kulturelles Leben in einem Konzentrationslager

Titelfoto: Kriegsgefangene der internationalen Brigaden in San Pedro de Cardena im Jahr 1938. Fotograf Kevin Buyers, XV. Internationale Brigade in Spanien; http://internationalbrigadesinspain.weebly.com/

Von Morgan Havard[i], London, Vorsitzender des Verbandes der Internationalen Brigade

The Volunteer for Liberty, Band 5, Nr. 1, Januar 1944[ii]

Nie habe ich mich ohnmächtiger und hilfloser gefühlt, als ich zusammen mit anderen Kameraden der Internationalen Brigade in die Verliese des Klosters gesteckt wurde, das Franco als Konzentrationslager diente. Noch kann ich das Gefühl der Erleichterung und Stärkung fünf Jahre später vergessen, als ich den dürren Chor der “Mountains of Morn” der Männer in der Nachbarzelle zu unserer Begrüßung hörte. Unser erster Gedanke war, die Worte aufzunehmen, und wir lachten uns beim Zuhören im Halbdunkel gegenseitig an. Die Männer sangen offensichtlich ihre eigene Version, da Musso[lini] und Franco öfter vorkamen. Die Worte waren undeutlich, doch die Botschaft war klar.

Eine gewisse Zeit lang waren wir in Einzelhaft, jedoch nicht wirklich isoliert, denn es gab nicht genügend Zellen (die Faschisten litten darunter, dass die Zellen nie ausreichten), und so so entließ man uns ins Leben des eigentlichen Lagers. Ich freute mich und war überrascht, hier Bob Steck zu treffen, der bereits da war. Bob war ein Amerikaner, den ich schon von früher aus dem Ausbildungslager kannte. Während wir des Wartens überdrüssig waren und rasch an die Front wollten, dachte er sich alle möglichen Sachen aus, um die Zeit totzuschlagen. All die alten bekannten Lieder wurden leicht verändert genutzt. Aus “Haltet das Fort” wurde “Haltet Madrid” und “Interbrigadisten – seid stark” gefiel uns besser als “Gewerkschafter – seid stark”. “Solidarität für immer” hatte ebenfalls verschiedene Abwandlungen erfahren. Die Texte betrafen üblicherweise die Sprachschwierigkeiten, die Verpflegungslage sowie, besonders populär, Musso und Franco.

Trotz oder vielleicht wegen der Lagerbedingungen, der ständigen Schläge, der fehlenden Waschgelegenheiten, des ungenießbaren Essens versuchte jeder der Männer, etwas Freude aus seiner spärlichen Habe zu ziehen. Diese umfasste Zigarettenschachteln (dank dem Internationalen Roten Kreuz), aus denen man tolle Spielkarten machen konnte, oder eine Seife pro Monat für sechs Leute. Trotzdem erbettelten wir ein Stück Seife von jedem Schachspieler im Lager und bastelten ein Schachspiel, das uns die vielen endlosen Monate als Francos Gäste zeitweilig vergessen half. Ich erinnere mich gut an einen deutschen Kameraden, der zwölf Spiele simultan spielen konnte und in der Regel zehn davon gewann – oder zwei Blindspiele, von denen er beide gewann!

Wir hatten “Laurence von Arabien”, das einzige Buch im Lager, und jeder wollte es sofort lesen. Nach vielen Diskussionen entschieden wir, dass die 200 englischen Brigadisten, d.h. auch Amerikaner, Australier, Südafrikaner, etc. in Gruppen zu je 20 aufgeteilt werden, wobei die erste Gruppe ihren ersten Mann zum Lesen sofort nach dem Frühstück festlegen sollte. Jede Gruppe bekam das Buch für eine Stunde am Tag. Auf diese Weise konnte jeder von uns das Buch in vier oder fünf Tagen durchlesen. Jede Nacht in dieser Zeit konnten wir beobachten, wie die letzte Gruppe darum kämpfte, ihre Stunde durchzubringen, bevor es Zeit wurde, auf die zerschlissenen Matratzen zurückzukehren – wenn man denn so glücklich war, eine zu haben!

Dann gab es die Sprachschulen, immer populär. Einige lernten deutsch, andere spanisch. Um miteinander zu kommunizieren und unsere Talente gemeinsam nutzen zu können, war es erforderlich, die Sprachbarriere zu überwinden. Deshalb waren die Sprachstunden gut besucht.

Schließlich entschlossen wir uns, einen Talentwettbewerb mit unseren kostbaren Zigaretten als Preise durchzuführen. Ich brachte dafür vier Waliser zusammen und wir probten eine Woche lang täglich eine Stunde die Lieder “Die Männer von Harlech” und “Das Land meiner Väter”. Wir meinten, recht gut zu sein, bis wir feststellten, dass wir mit einem guten Dutzend verschiedener nationaler Chöre konkurrieren mussten. Ich glaube, wir kamen mit dem zweiten Platz von 20 Zigaretten für uns gut dabei weg.

Natürlich führte diese Zusammenarbeit  zwischen den Männern zu einem gewissen Elan, der den faschistischen Behörden Furcht einflößte. Und eines Tages, aufgebracht durch den Vormarsch der Republikaner über den Ebro, fielen sie mit ihren Stöcken und Gewehrkolben über uns her, drangsalierten sie jede Gruppierung, ob sie gerade Karten oder Schach spielten oder einfach miteinander sprachen. Alle Ablenkungen, die wir uns während der harten Arbeitsmonate praktisch aus dem Nichts geschaffen hatten, wurden zerstört oder konfisziert. Wir würden  “unsere Seife verschwenden”, sagten sie und zerstörten unsere Schachfiguren und – kürzten die Seifenration.

So groß unsere Enttäuschung und Wut auch war, wussten wir doch, dass unsere Jungs irgendwo zurückschlugen. Und wir beschlossen, auf unsere eigene Weise zu tun, was wir tun konnten. Erstens, führten wir Versammlungen durch, wählten unsere eigenen “Wachen”, die uns jederzeit über das Nahen irgendwelcher Wachhabender warnen konnten. Wir machten uns neue Schachfiguren. Mit angeschärften Löffeln schnitzten  wir sie aus Holzstücken, die wir heimlich vom Exerzierplatz mitbrachten. Einige waren so gut geworden, dass sie, sollten sie noch existieren, einer Sammlung wert wären. Auch gestalteten wir die Sprachschulen und Vorträge in kleineren Gruppen, wobei gleichzeitig deren Anzahl erhöht und sie so organisiert wurden, dass bei einem Alarm jeder auf seine eigene Mattratze zurückgleiten konnte. Und in der Minute, die der faschistische Offizier brauchte, um nach dem Auslösen des Alarms zu erscheinen, mussten wir alles “inkriminierende” Material verschwinden lassen.

Bob Steck hielt Vorträge über Musik, Literatur usw., doch seine wichtigste Aufgabe war die Herausgabe der Lagerzeitung, der “Gefängnisnachrichten”. Später kam noch ein Konkurrent hinzu, der “Untergrund” und es entwickelte sich ein richtiger Wettbewerb zwischen den Herausgebern! Wir hatten das Glück, Kaline, einen  tschechischen Karikaturisten, bei uns zu haben, der die Zeitung für uns illustrierte. Mit seiner humorvollen Geduld brachte er auch Laien seine Kunst nahe.

Als Weihnachten nahte, baten wir um Erlaubnis, ein Weihnachtskonzert vorzubereiten. Und zu unserer Überraschung stimmten die Behörden zu. Bob Steck war der Organisator und Regisseur. Er kombinierte noch viele andere Sachen und war der glücklichste Mensch im Lager.

Unser Publikum bestand aus 30 verschiedenen Nationalitäten. Deshalb musste die Vorstellung so gestaltet sein, dass sie jeder verstehen konnte. Ein Franzose war dabei höchst erfolgreich. Er schrieb einem Sketch ohne Worte, das Leben eines Wanderers als Pantomime, der uns eine Viertelstunde lang vor Lachen brüllen ließ, ohne dass von der Bühne nur ein Wort gesprochen wurde. Es gab Jongleure, nationale Chöre und die liebenswerte Darbietung eines russischen Tanzes durch zwei polnische Ukrainer.

Die Vorstellung war solch ein Erfolg, dass die anwesenden faschistischen Wachleute zugeben mussten, dass “keine vier Peseten ihnen einen Platz irgendwo in Spanien für eine bessere Vorstellung gebracht” hätten.

 

[i] Morgan Havard: vom Craig Cefn Parc. Alter: 23. CPGB (1935) Beruf: Metallarbeiter. T&GWU. Verheiratet, ein Kind. Wohnadresse: 2 Wesley Road, Stonebridge, NW 10. Ankunft in Spanien: 8.12.1937. Bei Calaceite am Arm verwundet, musste er wegen seiner Verletzung durch seine sich zurückziehenden Kameraden zurückgelassen werden. Er wurde gefangen genommen und wurde Kriegsgefangener in San Pedro de Cardena. Der rechte Arm wurde amputiert. Er wurde repatriiert und starb im Alter von 58 Jahren. Biografische Übersicht von Kevin Buyers, von seiner Webseite XV. Internationale Brigade in Spanien. http://internationalbrigadesinspain.weebly.com/welsh-volunteers.html

[ii] Havard überarbeitete seinen Artikel. Er wurde 1969 im Morning Star unter dem neuen Titel “Der Krieg eines Walisers gegen Franco und seine faschistischen Gangster”. Diese spätere Version kann online  über WalesOnline, hochgeladen am 15. Dezember 2011 (aktualisiert am 21. März 2013), http://www.walesonline.co.uk/news/wales-news/one-welshmans-war-against-franco-1800922, eingesehen werden.

Übersetzung: „jowi-uebersetzungen.de“.

Redaktion KFSR

Redaktion KFSR