Anlässlich des bevorstehenden 100. Geburtstages des Internationalisten und Ehrenmitgliedes des KFSR 1936-1939, Vincent Almudéver am 6. Juli 2017 veröffentlichen wir ein Interview von Karlen Vesper für das nd aus dem Jahr 2013

Titelfoto: Vincent Almudéver (rechts) und sein Bruder Joseph (links). Foto: nd/Karlen Vesper

Fünf Patronen und zwei Helden

Die Gebrüder Vincent und Joseph Almudéver über ihren Kampf in Spanien 1936 bis 1939

Wie Brüder wirken sie auf den ersten Blick nicht: der eine hoch aufgeschossen, der andere wesentlich kleiner. Der ältere von beiden wirkt jünger. Vincent (Jg. 1917) und Joseph Almudéver (Jg. 1919) kämpften im Spanienkrieg 1936 bis 1939, zunächst in der republikanischen Armee, dann in den Interbrigaden. Zu den Gedenkfeiern anlässlich des 75. Jahrestages der Ebro-Schlacht kehrten die in Frankreich lebenden Gebrüder in ihre alte Heimat zurück. Dank Übersetzungshilfe durch Marguerite Bremer und Peter Schulz konnte Karlen Vesper mit den Veteranen in Barcelona sprechen.

nd: Vincent und Joseph, Sie waren erst 19 und 17 Jahre jung, als sie sich bei der republikanischen Armee meldeten, um gegen die Franco-Putschisten zu kämpfen. Was haben Ihre Eltern dazu gesagt?

Vincent: Sie waren auch Republikaner, Sozialisten. Und sie wussten, dass ich mich gemeldet habe. Mein jüngerer Bruder Joseph ist allerdings heimlich von zu Hause weg. Ihn hätten sie wohl nicht in den Krieg ziehen lassen.

Joseph: Es wird immer vom spanischen Bürgerkrieg geredet. Der Franco-Putsch vom 18. Juli 1936 war in Berlin mit vorbereitet worden, vor allem durch den deutschen Abwehrchef Canaris. Die im Februar 1936 demokratisch gewählte Volksfrontregierung musste sich verteidigen. Dabei halfen ihr Tausende Freiwillige aus ganz Europa und Übersee. Denn die Franco-Putschisten wurden von Hitlers und Mussolinis Söldnern unterstützt. Der durch die Putschisten ausgelöste Krieg war kein Krieg zwischen Spaniern, sondern zwischen Antifaschisten und Faschisten. Und die Non-Interventions-Haltung in London und Paris war ein Verbrechen!

Wo haben Sie gekämpft?

Joseph: Überall. Bei Belchite und Brunete, Guadalajara und Aragon, bei Teruel, am Ebro und vor Madrid … Wir waren vom ersten bis zum letzten Tag dabei. Bei Teruel hätte es mich fast erwischt. Uns gegenüber lagen die Italiener. Sie hatten Maschinengewehre, ich nur einen Karabiner. Plötzlich kamen deutsche Stukas und beschossen uns. Ich bin in einen Schützengraben gesprungen und sofort wieder raus, als die Stukas abdrehten. Doch die kamen wieder zurück und durchsiebten den Graben, in dem ich kurz zuvor noch Deckung gesucht hatte. Dann brüllte einer: »Die Franquisten kommen. « Sie sind in unserem Rücken durchgebrochen. Von vorn kamen italienische Panzer auf uns zugerollt. Mit knapper Not konnte ich flüchten.

Vincent: Ich war auch an der Front von Teruel, mit dem Bataillon »Pablo Iglesias«, benannt nach dem Gründer der Sozialistischen Partei. Ich wurde am Arm verwundet. Und da ich minderjährig war, nach Hause geschickt. Da hat es mich nicht lange gehalten. Mit einer Einheit der vereinten Jugendorganisation – die kommunistische und sozialistische Jugend hatten sich zusammengeschlossen – kam ich an die Guadalajara-Front.

Sind Sie auch verletzt worden?

Joseph: Ja. Ich habe sogar noch fünf Patronen in meinem Körper. Das passierte, als wir mal wieder bombardiert worden sind. Da hatte ich wieder Glück. Kurz zuvor hatte ich einen Helm gefunden. Mit Durchschuss. Der vorherige Träger konnte den Kopfschuss nicht überlebt haben. Also nahm ich den Helm und trug ihn anstelle meines Käppis. Als dann neben mir eine Granate einschlug, riss sie nur den Helm weg. Hätte ich den nicht getragen, hätte es mir sehr wahrscheinlich den Kopf abgerissen.

Vincent, was war Ihr schlimmstes Erlebnis?

Vincent: Das kann ich Ihnen sagen. Einer unserer Kameraden sollte Holz holen, damit wir uns in dem Haus, in dem wir die Gefechtspause verbrachten, etwas wärmen konnten. Als er gerade gegangen war, bellte die faschistische Artillerie los. Der Freund unseres Kameraden ging zur Tür, um zu sehen, ob sein Compañero zurückkommt. Der kam mit dem Feuerholz angerannt. 15 Meter vor der Hütte, schlug eine Granate ein und köpfte ihn. Da er im vollen Lauf getroffen wurde, ist der Körper noch einige Schritte weiter gelaufen. Sein Freund, der das mit ansehen musste, sprach nie wieder ein Wort.

Sind Sie nach der Niederlage der Volksfrontrepublik gleich Tausenden anderen Republikanern und Interbrigadisten nach Frankreich gegangen?

Joseph: Nein, ich blieb in Spanien und gründete eine kleine Widerstandsgruppe. Eines Tages bekam meine Frau einen Tipp: Man wolle mich verhaften. Da tauchte ich unter und schlug mich nach Frankreich durch. Meine Frau kam nach. Später erfuhr ich, dass die Geheimpolizei über mich 140 Seiten Informationen gesammelt hatte. Mein Todesurteil stand schon fest. Meine beiden Mitstreiter in der Illegalität haben es nicht geschafft, sie wurden verhaftet und erschossen. 1955, als Spanien in die UNO aufgenommen wurde, musste Franco eine Amnestie, eine scheinheilige, erlassen. Ich wurde formell begnadigt, mit der Auflage, nie mehr nach Spanien zurückzukehren.

Vincent: Ich bin 1939 über die Pyrenäen nach Frankreich gegangen und wurde dort wie die meisten republikanischen Soldaten und Interbrigadisten interniert. In Gurs war ich in einer Baracke mit Lateinamerikanern untergebracht, die in den Internationalen Brigaden gekämpft hatten. Als wir hörten, dass 200 Leute für ein Arbeitskommando gesucht wurden, haben wir uns gemeldet. Wir wollten zusammenbleiben. Im November ›39 wurden wir nach Paris geschickt. Dort konnte ich dann fliehen. Ich ging nach Südfrankreich. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht 1940 habe ich mich der Résistance angeschlossen. Zugleich unterstützte ich den Widerstand gegen Franco in Spanien.

Sind Sie beide Franzosen geworden?

Vincent: Wir leben in Frankreich mit unseren Familien. Aber wir sind weder Franzosen noch Spanier. Wir sind Internationalisten.

Wir danken dem nd für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung des Interviews.

Quelle: neues deutschland (nd), 16.11.2013

Link https://www.neues-deutschland.de/artikel/915042.fuenf-patronen-und-zwei-helden.html

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Redaktion KFSR

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