„Der Kopf ist viel zu klein, um das alles zu behalten!“ Von Werner Abel. Zeitschrift „EXIL“ 1/2016.

Titelfoto: Kampfpause am Ebro, unten in der Mitte Ada Vodička. Archiv Werner Abel (AWA).

Wir danken dem Autor Werner Abel, der uns den Aufsatz „Der Kopf ist viel zu klein, um das alles zu behalten!“, zuerst erschienen in der Zeitschrift „EXIL“, Heft 1/2016, zur Verfügung stellt.

„Der Kopf ist viel zu klein, um das alles zu behalten!“

Als wir uns im Sommer 2008 in dem großen Mietshaus in der Ulica na Pankrácí No. 103 in Prag trafen, in dem er mit seiner Frau Hanna vor einer Ewigkeit eine geräumige Wohnung bezogen hatte, lebte Adolf (Ada) Vodička durchaus nicht nur von seinen Erinnerungen. Wie viele frühere Spanienkämpfer auch, war er ein politischer Mensch geblieben, den nicht nur sein Land, sondern die Welt interessierte. Da er ausgesprochen polyglott veranlagt war und neben Tschechisch auch Deutsch, Spanisch, Französisch und Englisch sprach, konnte er noch vieles über den Äther verfolgen. Kaum zu glauben, auf welches Leben dieser kleine schmächtige Mann zurückblicken konnte, er, der noch dazu so gar nicht dem Idealbild eines Soldaten dreier Armeen entsprach.

Am 26. Januar 1913 in Libočzany nahe Zatec in einer jüdischen Familie geboren, einem Ort, in dem, wie er betonte, alle Tschechen Deutsch, aber kaum Deutsche Tschechisch sprachen, hatte er zu Kriegsbeginn seinen Vater verloren. Seine Mutter heiratete später einen Gendarmen, einen Katholiken, der aber wegen dem wenig sozialen Verhaltens des Pfarrers die Kirche verliess. „Ich wuchs“, erzählte Ada später, „in einem nichtreligiösen, aber sehr patriotischen Umfeld auf.“ Nach dem Besuch der Handelsschule legte das aber auch die Grundlage für das künftige politische Engagement. Er war beunruhigt über die Erfolge der Sudetendeutschen Partei des Konrad Henlein bei den Wahlen im Jahre 1935 in den nordböhmischen Gebieten und verbittert, wenn er beim Skilaufen auf der deutschen Seite des Erzgebirges auf Tafeln an Jugendherbergen lesen musste. „“Juden, Tschechen und Hunden Eintritt verboten!“ Inzwischen Mitglied des Kommunistischen Jugendverbands geworden, trat er, weil er seinen Vater nicht gefährden wollte, wieder aus, trat in die KPČ ein und wieder aus, bis er dann, elektrisiert durch die Nachrichten aus Spanien, wo sich erstmals in Europa das Volk in Waffen dem Faschismus in den Weg stellte, den Entschluss fasste, unbedingt dorthin zu reisen. „Ich war gut konditioniert, den ich war Leichtathlet. Außerdem hatte ich gelernt, mit der Pistole zu schießen.“ Dass das nicht reichte, musste er später mit Nachdruck erfahren. Zunächst aber versuchte er mit sieben Freunden über Deutschland nach Frankreich zu kommen. Die jungen Männer erreichten gar nicht erst die Grenze, schon in Cheb (Eger) wurden sie aus dem Zug geholt, ihre Ausrede, sie wollen zur Weltausstellung nach Paris fahren, wurde ihnen nicht abgenommen. Unter Polizeiaufsicht gestellt, flüsterte ihm der Polizist, der für ihn verantwortlich war, er solle nach Prag gehen und sich an das Sekretariat der KPČ wenden. Dort stattete man Ada mit einem Passwort aus und schickte ihn nach Krumlov an der österreichischen Grenze. Dieses Passwort bewirkte, dass er bis zum Wiener Ostbahnhof geschleust wurde und von da aus mit einer Gruppe von sechs Personen über Basel und Zürich jene legendäre Adresse in der Rue Lavayette in Paris erreichte, von der aus die Reisen der internationalen Freiwilligen nach Spanien organisiert wurden. Aufgeteilt in kleine Gruppen, gehen die Freiwilligen bei Perpignan über die Grenze. Mit Sonnenaufgang ist Ada in Spanien. Danach erreicht er mit einem Transport Figueras, in der alten Festung befindet sich der erste Sammelpunkt für die Freiwilligen. Überall von den Spaniern freudig begrüßt und mit Blumen und Orangen beschenkt, geht die Reise über Gerona und Valencia, inzwischen Sitz der republikanischen Regierung, nach Albacete, der Base der Internationalen Brigaden. Keinen der Tschechen, die mit ihm reisten, so bemerkte er später bitter, habe er jemals wieder gesehen. Lachend erzählte er aber trotzdem: „In Albacete haben sie ein Gewehr neben mir aufgestellt und gesagt: Schau mal, Du Kleiner, Du bist ja nicht viel größer als das Gewehr. Nein, Du kannst nur Kommissar werden!“ Er wurde natürlich nicht Kommissar, sondern einem Maschinengewehrzug zugeteilt. Vielleicht auch, weil er recht schnell Spanisch sprach, beförderte man ihn bald zum Sargento. Sprachkenntnisse in den Internationalen Brigaden waren bei den Freiwilligen aus 53 Nationen von existentieller Wichtigkeit, Spanisch bei der zunehmenden Auffüllung dieser Brigaden durch spanische Rekruten ohnehin.

Die erste Schlacht, an der Ada teilnimmt, fand in der Nähe von Teruel statt.  Hier gehörte er zunächst dem Adam-Mickiewicz-Batallón, einer polnischen Einheit der 35. Division an. Danach wurde er in die mehr tschechische Einheit „Checo-Balcánico“ des Bataillons Divisionario der 45. Division kommandiert. Er nahm an den Kämpfen an der Argón-Front, bei Caspe, Alcañiz und Tortosa teil und wurde zweimal leicht verwundet. Da die Front hier wegen der feindlichen Übermacht nicht zu halten war, musste er sich mit einer schon arg dezimierten spanischen Einheit und Kameraden aus Ungarn und Österreich zurückziehen. Hier kam es zu einer Begegnung, auf die er immer stolz sein wird: Mit sich transportierten sie auf einer Trage einen schwerverwundeten jungen Spanier, jede Minute ist kostbar, der Blutverlust enorm. Plötzlich überholte sie ein schwerer PKW, ein großer Mann stieg aus. Es stellt sich heraus, dass sich im Auto eine Gruppe Journalisten befand, die von der Aragón-Front berichten wollten. Ada fragte, ob sie den Verwundeten bis zum nächsten Lazarett mitnehmen können und erntete dafür den Protest der Insassen. Der große Mann war wütend und fragte: „Was ist wichtiger, eure Bequemlichkeit oder das Leben dieses Kämpfers?“ Der Verwundete durfte mitfahren, der große Journalist marschierte jetzt mit den Soldaten und fragte dieses und jenes über die Front. Da er Deutsch sprach, wollte Ada seinen Namen wissen. „Hemingway, Ernest Hemingway“, antwortete der Journalist. Danach nahm ihn ein anderes Auto mit. Als er später am Lazarett vorbei kam, fragte Ada nach den jungen Spanier. Er konnte gerettet werden, aber woher er, Ada, das Auto bekommen habe, fragten die Ärzte. „Von Hemingway“, sagte er, „das war Hemingway“.

Am Ebro hatte Ada Gelegenheit, für Ludwig Renn zu dolmetschen. Auch darauf war er stolz, mehr aber noch, dass sich Tschechen und Deutsche in Spanien so gut verstanden.

Kurz darauf wurde Ada während der Ebro-Offensive bei Gandesa schwer verwundet. Nachdem in seiner Stellung eine Granate explodierte, musste er in ein Hospital in Barcelona. Man fand siebzehn Splitter in seinem Körper.

Nach seiner Genesung wieder bei seiner Einheit, nahm er dann am 28. Oktober an der Parade zur Verabschiedung der Internationalen Brigaden in Barcelona teil. Alle Augenzeugen berichteten, dass das eine erregende Manifestation war. Etwa 300 000 Menschen hatten sich eingefunden und jubelten den erschöpften und abgekämpften Freiwilligen aus aller Welt zu. Ada stand mit den überlebenden tschechischen und slowakischen Brigadisten zusammen, als Dolores Ibárurri, die legendäre „Pasionaria“, zu ihnen kam und sich für ihren Einsatz für die Republik bedankte. Als sie fragte, wie es den Kämpfern gehe, antwortete Ada auf Spanisch, dass es ihm trotz der Enttäuschung, dass sie auf Anordnung der spanischen Regierung das Land verlassen müssten, gut gehe, besonders, weil er nun zwei Vaterländer habe, die Tschechoslowakische und die Spanische Republik. Daraufhin umarmte sie ihn und sagte: „Du wirst nicht nur zwei Vaterländer haben, sondern auch zwei Muttersprachen, so gut ist Dein Spanisch schon!“.

Am 26. Januar 1939, genau an seinem Geburtstag, fiel Barcelona in die Hände der Franquisten. An diesem Tag war er mit der Nachhut der Republikaner schon auf dem Weg zur französischen Grenze. Er traf auf eine Gruppe Tschechen, die ein Jagdgewehr und Handgranaten besassen. Sie wollten illegal weiterkämpfen, als Guerilla. Ada meinte, das sei Unsinn, reiner Selbstmord. Aber natürlich, sagte er später, drückte das auch die Verzweiflung aus. Auch er sei nicht frei von diesen Stimmungen gewesen. Als er auf dem Rückzug noch einmal in der Nähe der Frontlinie auf eine Maschinengewehr-Stellung der Republikaner traf, bat er die Kameraden, wenigstens ein letztes Mal auf die Faschisten schießen zu dürfen. Das sei ihn doch noch eine große Genugtuung gewesen, denn es war an jenem Tag, an dem er eigentlich seinen 25. Geburtstag gefeiert hätte. Er hatte den Soldaten, die verzweifelt versuchten, wenigstens einige Stunden zu gewinnen, um die Flucht der Bevölkerung zu sichern, sein Soldbuch mit dem Geburtsdatum gezeigt und gesagt, es sei sein Geburtstagswunsch, wenigstens noch einmal, nur für Minuten, für die Republik kämpfen zu dürfen.

Drei Tage später überquerte er mit vielen anderen Kameraden die Grenze zu Frankreich und wurde zunächst in Saint Cyprien, dann in Gurs interniert. Die Lebensbedingungen waren katastrophal und die Spanienkämpfer wurden ebenso wie andere internierte Antifaschisten wie Feinde behandelt. Am 14. Juli 1939 hatten die Internierten die Idee, den 150. Jahrestag der Französischen Revolution zu feiern. Höhepunkt war, natürlich auch, um die französischen Wachen zu beeindrucken, ein Sportfest. Die Internierten bauten mit ihren Körpern eine lebende Pyramide, deren Spitze, weil er der Kleinste und der Leichteste war, Ada bildete. Auf einer erhalten gebliebenen Fotographie sieht man ihn auf dieser Pyramide stehend mit nach oben gestrecktem rechten Arm und geballter Faust. Die Wachen waren tatsächlich begeistert, der Tag konnte deshalb mit Rotwein gefeiert werden.

Adolf Vodička war Kommunist, weil er glaubte, so Ungleichheit und Ungerechtigkeit bekämpfen zu können. Die bürgerlichen Demokratien, so nahm er für diese Zeit an, hätten durch ihre  Appeasement-Politik zuerst die Tschechische, dann die Spanische und letztlich auch die Französische Republik verraten. Wie viele andere glaube er an die Sowjetunion, aber es war ihn auch aufgefallen, dass die UdSSR nur wenigen Spanienkämpfern, die nicht mehr in ihre Heimatländer zurückkehren konnten, Asyl bot. Natürlich hatte er von den Prozessen gegen die alten Bolschewiki gehört, von den Morden und davon, dass die Helden von gestern plötzlich Verräter gewesen sein sollen. Die Sowjetunion, so sagte er bei unserem Gespräch, hätte er vielleicht auch nicht überlebt. Er schenkte mir ein Buch, den 1937 in deutscher Sprasche vom Volkskommissariat für Justizwesen der UdSSR herausgegebenen „Prozessbericht über die Strafsache des sowjetfeindlichen trotzkistischen Zentrums“. „Ein schlimmes Buch“, so sagte er, „schlimmer aber noch war, dass wir dem Glauben geschenkt hatten“. Er war einer jener ehrlichen Kommunisten, die das Schlimmste, wovon noch zu berichten sein wird, von den eigenen Leuten erleiden mussten. Natürlich hatte er auch in Spanien die Differenzen innerhalb der Linken, innerhalb des republikanischen Lagers, die bis zur bewaffneten Auseinandersetzung und zu Repressalien eskalierten, mitbekommen. „Die Agitatoren aus der Etappe schimpften gegen die Trotzkisten, gegen die Anarchisten, gegen alle, die nicht auf der Linie der Partei waren. Die politisch das große Maul hatten, denen haben wir gesagt, geht doch in die erste Linie, dort kannst Du laut reden. Und die Anarchisten, das waren Kämpfer!“.

Ada hatte Glück. Im Herbst 1939 wurde die Tschechische Auslandsarmee gebildet, am 4. Januar 1940 kann er dort eintreten. Bilder zeigen ihn in Uniform, auch bei Übungen, aber zum Einsatz kam es nicht mehr, die deutschen Okkupanten besetzten Frankreich, Teil der Tschechischen Armee wurden bei Bayonne an der Atlantikküste nach England evakuiert. Ada musste also wieder fliehen. Möglich gewesen wäre die Flucht nach Spanien, aber als ehemaliger Angehöriger der Internationalen Brigaden hätte man ihn dort mit Sicherheit inhaftiert. Also suchte er Unterschlupf auf einem kanadischen Schiff, das polnische Soldaten nach England transportiert. In Liverpool trat er in das Pioneer-Corps ein, konnte aber, weil er sich als Kommunist bekannte, nicht bleiben und wurde zunächst in Schottland interniert. Nach der Entlassung hatte er die Möglichkeit, in die englische Armee einzutreten, meinte aber, dass er lieber Zivilist bleiben wolle und engagierte sich lieber bei der Home Guard, die versuchte, die Bevölkerung bei Angriffen der Nazi-Luftwaffe zu schützen. In dieser Zeit heiratete er Hanna Lewitová, die auch aus einer jüdischen Familie stammte, mit Lenka Reinerová das Gymnasium besucht hatte und in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahren im Klub DIE TAT in der Křižnovická in Prag arbeitete, in dem für Emigranten aus Deutschland gesorgt wurde. Nach der Okkupation der Tschechischen Republik durch die musste auch Hanna, die Mitglied der KPČ war, emigrieren.

Exkurs

Im Jahre 1940 schrieben in Moskau Funktionäre der Kommunistischen Internationale im Auftrag der Kommission für ausländische Kader beim Zentralkomitee der KP Spaniens  und des Exekutivkomitees der Komintern Charakteristika der ehemaligen Spanienkämpfer. In Falle Adolf Vodičkas waren das der Tscheche Jaroslav Hošek, der den Decknamen „Jarin“ nutzte, und der Italiener Edoardo D´Onofrio, der unter dem Decknamen „Edo Romero“ schon in Spanien der Leitung dieser Kommission angehört hatte. Hošek wiederum war in Spanien Mitarbeiter der tschechoslowakischenSektion der Kaderabteilung in der Base der Interbrigaden in Albacete gewesen. Interessant ist wohl, dass die Charakteristika der tschechoslowakischen Freiwilligen in Russisch verfasst wurden, die der polnischen, verfasst von „Edo“, in Französisch. Wie auch immer, am 5. November 1940 schrieben „Jarin“ und „Edo“:

„Wodicka, Adolf. Geboren 1913. Angestellter. Aus der CSR. Parteilos. Soldat. Kompaniesekretär. Biographie vorhanden. Sein Vater ist Gendarm. Er hat mit diesen gute Beziehungen. Nach eigenen Angaben 1928 in den Komsomol (das meint den den Kommunistischen Jugendverband der ČSR, W.A.) eingetreten, aber wieder ausgetreten, da sein Vater Gendarm und dieser nach A. Wodickas Angaben verfolgt worden wäre.

1934 in die Partei eingetreten, aber wieder ausgetreten. Er hat dies so wie oben begründet. 1936 lebte und arbeitete er 5 Monate in Jugoslawien. Nach Spanien kam er mit Einverständnis der KP am 10.02.1938. Er wurde dem Bataillon Balkanik zugeteilt, später in das Bataillon Divisionar der 45. Division versetzt. Am 13.09.1938 verwundet. An der Front insgesamt 7 Monate.

Wurde in die KPS aufgenommen (durch die Kompanieorganisation) und zum Mitglied des Parteikomitees gewählt.

Das Parteikomitee der 129. Brigade teilt über ihn mit: Einige Zeit war er als Sekretär der Kompanieorganisation tätig. Er arbeitete gewissenhaft, diszipliniert und hat sich in letzter Zeit an der Front gut geführt. Er zeigte Interesse am politischen Leben. Aktiv. Initiativreich. Nervös. Überheblich. Typischer Kleinbürger. Guter Genosse, der Unterstützung benötigt.

Sein Verhalten in Spanien war befriedigend, aber unsere Kommission hat die Frage der Aufnahme in die KPS nicht entschieden, da sie der Meinung ist, dass die Angelegenheit weitere Beschäftigung mit ihr verdient.“ [1]

In einer weiteren, nicht datierten „Relación de los comunistas checoeslovacos“ („Liste der tschechoslowakischen Kommunisten“) ist zu lesen „Bueno, politicamente vacilande“ („Gut, politisch schwankend“). [2] Diese Liste folgte einem Kriterienkatalog, den das ZK der KP Spaniens für die ausländischen Kommunisten herausgegeben hatte und in dem eine Bewertung von „sehr gut“ bis „sehr schlecht“ vorgeschlagen wurde. Bei „schlecht“ und „sehr schlecht“ wurden die jeweiligen Personen nicht in die KP Spaniens überführt. Die Entscheidung oblag der Kommission für ausländische Kader. Für Ada ergab sich dadurch die seltsame Situation, dass er zwar von der Parteiorganisation seiner Kompanie aufgenommen und sogar zum Parteisekretär gewählt wurde, er aber, da die Zustimmung der genannten Kommission fehlte, im eigentlichen Fall kein Parteimitglied war. Das Ende des Krieges, die Räumung Kataloniens und der Abzug der Interbrigadisten verhinderte, wie das auch bei vielen anderen ausländischen Kommunisten der Fall war, die definitive Klärung dieser Angelegenheit.

Noch in England fand Ada Arbeit im Sekretariat von Vaclav Nosek (1892-1955), einem der Führer der kommunistischen Emigration. Nosek war von 1942 bis 1945 stellvertretender Vorsitzender des Tschechischen Staatsrats, 1953 Innenminister und von 1954 bis 1955 Minister für Arbeit in der ČSR. Die Arbeit im Sekretariat Noseks waren wohl auch der Grund, weshalb Ada nach seiner Rückkehr im Innenministerium angestellt wurde. Zunächst arbeitete er in England in der Zeitschrift „Nové Československo“ mit.

Am 21. August 1945 kehrten Ada und Hanna zurück in die Heimat. Eigenartig, dass dreiundzwanzig Jahre später der gleiche Tag eine neuen Zäsur in ihrem Leben sein würde.

Zunächst begann Ada im Innenministerium zu arbeiten, in einer Abteilung, die sich mit der Aussiedlung der Deutschen befasste. Er war mit anderen für die Gebiete Nordböhmens zuständig. Ihm kam zu gute, dass er perfekt Deutsch sprach, die Arbeit aber, so erzählte er, machte ihm keine Freunde. Schon wieder mussten Menschen leiden und manches Elend, so meinte er später, hätte vermieden werden können. Früher, so erzählte er weiter, habe er mit Erstaunen konstatiert, dass er mit seiner jüdischen Herkunft „Adolf“ heiße und dieser deutsche Verbrecher auch. Mit Genugtuung habe er dann erlebt, dass er zu den Siegern über den Verbrecher gehörte. Aber man dürfe nicht das Verbrechen mit Gleichem begegnen, deshalb habe er selbst bei der Aussiedlung auf Kommunikation und möglichst humane Lösungen gesetzt, wissend, dass das in vielen Fällen nicht funktionieren würde. Nach zwei Jahren war die Arbeit dieser Abteilung ohnehin beendet und es wurde ihm ans Herz gelegt, wiederum auf Grund seiner Sprachkenntnisse, im Innenministerium für die Sicherheit des Staates zu arbeiten. Große Lust verspürte er wohl nicht, aber natürlich musste das Land vor Agenten und Saboteuren geschützt werden. Außerdem, so sagte man ihm, solle er auch an seine Familie denken.

Aber am Horizont zogen schwarze Schatten herauf. Immer mehr nahmen die Stalinisten die Westemigranten und somit auch die Spanienkämpfer ins Visier, denn diese hatten zu lange außerhalb der Kontrolle Moskaus gewirkt. Josip Tito hatte in Jugoslawien Stalin die Grenzen seiner Macht gezeigt, weitere zentrifugale Tendenzen mussten unbedingt verhindert werden. In Ungarn war im Oktober 1949 der frühere Spanienkämpfer und spätere Innen- und für kurze Zeit Außenminister László Rajk hingerichtet worden, in der ČSR begann die Verhaftungswelle 1950 mit Otto Šling, dem KSČ-Chef von Brno. Am 27. 1. 1951 wurde mit Osvald Závodský, seit März 1950 Chef der Geheimpolizei SNB (Spor národní bezpečností) bzw. dem dann nach KGB-Beispiel davon abgespalteten Staatssicherheitsdienst StB (Státní bezpečností) der erste prominente Spanienkämpfer verhaftet. Damit war dann auch Adas Karriere beendet. Eines morgens wurde er auf dem Weg zu seinem Büro aufgehalten und ihm bedeutet, dass „Juden und Španělaci“ aus dem  Innenministerium raus müssten und er sein Büro nicht mehr betreten dürfe. Auf seine Frage, was für ein Verhältnis zwischen Juden und Spanienkämpfern bestehe, bekam er die Antwort, beide seien Verräter. Darauf antwortete Ada: „Ich kann nichts machen, wenn Sie mich feuern. Aber Gott bewahre, irgendwann werden Sie sich vor der Partei verantworten müssen!“ Es war die für diese Zeit typische Antwort eines Kommunisten, der nicht daran glauben konnte und wollte, dass die Partei es war, die die Verbrechen befahl. So schlimm dieser Tag war, gab es aber auch hier einen Moment, der Ada half, seinen Glauben an die Menschen nicht zu verlieren. Vor dem Ministerium wartete sein Fahrer. Ada wollte mit der Straßenbahn nach Hause fahren, der Fahrer bestand darauf, dass das mit dem Auto geschehe. Als Ada warnte, er, der Fahrer, würde damit seinen Arbeitsplatz gefährden, meinte dieser, Kraftfahrer würden immer und überall gebraucht. Nach noch über fünfzig Jahren konnte sich Ada über diese Geste freuen.

Zunächst fand er keine Arbeit, konnte sich aber – wiederum Dank seiner Kenntnisse fremder Sprachen – mit Übersetzungen, die ein Kunstverlag bestellte, die aber anonym bleiben mussten, über Wasser halten. Das Schicksal von Rudolf Slánský, dem hingerichteten Generalsekretär, und die qualvolle Haft Arthur Londons, beide Spanienkämpfer, war Ada erspart geblieben, aber natürlich wusste er um die politisch motivierten Morde und Inhaftierungen, und so blieb die Angst. Der Slánský-Prozess hatte überdies einen ausgesprochen antisemitischen Charakter, mit zynischer Betonung wurde die jüdische Herkunft der meisten der Angeklagten hervorgehoben. Und trotzdem war das, was mit dem 20. Parteitag der KPdSU 1956 über die stalinistischen Verbrechen bekannt wurde, nach seinen Worten für Ada ein Schock. Aber noch immer konnte er nicht mit dem brechen, was sein Leben bisher bestimmt hatte. Wiederum bekam er Arbeit im Innenministerium, in einem Bereich, der sich höchst konspirativ „Transportabteilung“ nannte. Der Name stimmte nicht mit der eigentlichen Aufgabe dieser Abteilung überein, denn dort wurden konfiszierte fremdsprachige Bücher klassifiziert, die ja auch in gewaltigen Mengen in den ehemals z.B. von Deutschen bewohnten Regionen vorhanden gewesen war. Völlig einverstanden war Ada, wenn die „Hitler-Literatur“, so sein Ausdruck, in die Papiermühle kam. Andererseits hatte er so manches gute Buch, das später seine kleine Bibliothek zierte, aus dieser Abteilung gerettet.

1962 kam es zu einer erneuten Zäsur in seinem Leben. Wiederum waren es die Sprachen, dieses Mal Spanisch, die den Ausschlag gaben. Völlig unverhofft wurde er gefragt, ob er das Tschechische Kulturzentrum in Havanna übernehmen wolle. Komisch, sagte er später, dass er da zuerst an Hemingway gedacht habe, und dass es nun schade sei, ihn, da dieser 1961 verstorben war, nicht mehr treffen zu können. Aber die Chance war es, Hemingways Haus zu sehen. In Adas Bibliothek stand auch die amerikanische Erstausgabe von „For whom de bell tolls“, Hemingways Roman aus dem Spanischen Bürgerkrieg. Natürlich hat Ada dann Hemingways Finca La Vigia in San Francisco de Paula besucht, aber das größte Erlebnis in Havanna war ein anderes. Das Kulturzentrum hatte sich in einem desolaten Zustand befunden, der bisherige Direktor war, so Ada, wohl ein „guter Genosse“, aber ein schlechter Praktiker. Als er Ada einarbeitete, geriet er plötzlich in Hektik: Alles müsse neu hergerichtet und vorgerichtet werden, ein ganz Großer habe seinen Besuch angesagt. Von einem Großen aber, so Ada, lasse er sich nicht von Ruhe und Sorgfalt abbringen. Da kam es heraus, der „Große“ war Fidel Castro selbst, der Lider Máximo der sozialistischen Insel. Castro besuchte das Kulturzentrum, ging gleich auf Ada zu, drückte ihm die Hand und sagte: „Du kleiner Mann bist ein großer Held. Du hast in Spanien für die Freiheit gekämpft!“ Natürlich war Ada erstaunt, dass Castro diesen Teil seiner Biographie kannte, da er aber wusste, dass es in Spanien auch kubanische Freiwillige gab, die gegen die Franquisten gekämpft hatten, verkniff er sich die Frage, woher Castro sein Wissen über ihn habe. Was Ada zu der Zeit allerdings nicht wusste war,  dass Fidel Castro und Che Guevara nach 1953 in Mexiko von dem exilierten spanischen Luftwaffen-Oberst Alberto Bayo die ersten Lektionen in der Taktik des Guerilla-Kampfes erhielten.

Als das Kulturzentrum nach zwei Jahren intensiver Arbeit Adas zur Zufriedenheit funktionierte, wurde ein anderer mit der Leitung betraut und er musste 1964 in die Heimat zurück. Traurig war er schon, aber auch hier war es wie in Spanien: Man kam nach oben, wenn man politisch das große Maul hatte.

Von 1965 bis 1967 war Ada dann Vertreter der großen tschechischen Firma ČKD in Hyderabad in Indien. Englisch, was er dafür brauchte, sprach er fließend.

Dann kam der 21. August 1968. Die tschechoslowakischen Kommunisten hatten ein neues Aktionsprogramm diskutiert, das einschneidende Reformen und Veränderungen in der Gesellschaft vorsah. Auch die Opfer der Repressionen der vierziger und fünfziger Jahre sollten rehabilitiert werden. Es war der Traum von einem „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, einem Sozialismus, der auf die Belange einer westlichen Industrienation zugeschnitten sein sollte. Für Ada war die Reisefreiheit wichtig und erstmals, so sagte er, hatten die Pässe den Eindruck „Gültig für alle Länder“. Wie in der 1. Republik, in der man mit einem tschechischen Pass visafrei in eine große Anzahl von Ländern reisen konnte. Kurz: Die Sowjetunion und ihre Verbündeten sahen in der ČSSR die Konterrevolution am Werke, da sich aber die tschechischen und slowakischen Kommunisten auch durch Drohungen nicht von ihrem Weg abbringen ließen, marschierten an jenem Tag im August sowjetische, polnische, ungarische und bulgarische Armeeeinheiten das vermeintlich vom richtigen Kurs abfallende „Bruderland“ ein. Ada rief eine Freundin in England an und sagte ihr, dass die Russen da seien und sich viele Tschechen an die Okkupation durch Nazi-Deutschland erinnerten. Plötzlich war es wieder da, erzählte er, das Wort „Okkupation“. „Ich habe mit den sowjetischen Soldaten gesprochen und gesagt, geht nach Hause, wir sind Eure Freunde, aber wir brauchen Euch hier nicht!“ Ada hatte vor zwei Jahren mit dem Rauchen aufgehört, aber jetzt hatte er sich in der Aufregung wieder eine Schachtel „Sparta“ gekauft. Nach einer Zigarette hatte er genug, aber die aufgerissene Packung zeigte er uns noch im Jahre 2008. Auf ihr stand „21.8.1968“.

Nach und nach verstarben die letzten tschechischen Spanienkämpfer, Adolf Vodička hatte sie alle überlebt. Aber immer wieder sprach er über den Spanischen Krieg, in seinem sympathischen Prager Deutsch, aus dem er sofort in Spanisch oder Englisch übergehen konnte. Er war ein gefragter Interview-Partner für Rundfunk, Fernsehen und Presse, und anzunehmen ist, dass er auch seinen Enkeln von seinen Abenteuern im 20. Jahrhundert erzählt hat.

Als wir ihn im Jahre 2008 das letzte Mal besuchten, fragten wir ihn, ob es nicht Verzeichnisse der tschechoslowakischen Interbrigadisten gäbe. Ja, sagte er, er habe eins, aber das könne er uns nur zeigen, weil er schon so viel Material über Spanien an Journalisten verloren habe. Als wir die Listen sahen, trauten wir unseren Augen nicht: Auf jeder Seite prangte neben der Registriernummer der Stempelaufdruck „StB“. Es waren Listen der Staatssicherheit, in denen die Spanienkämpfer erfasst waren. Nach der Auflösung dieser Behörde hatte Ada diese Listen erhalten, obwohl er das jetzt heiter-gelassen aufnahm, wurde er doch immer wieder daran erinnert, wie gefährdet er in jenen Jahren als Jude und Spanienkämpfer gewesen war. „Ich bin“, betonte er, „nicht als Jude nach Spanien gegangen, sondern als Antifaschist. Ich wußte auch, dass die Franco-Leute keine Antisemiten waren. Sie hätten mich vielleicht als Roten erschossen. Aber zum Juden haben mich erst die Stalinisten gemacht“.

Vermutlich ist diese Liste nach dem Tod Adas und Hannas verloren gegangen. Adolf Vodička, der letzte tschechische Interbrigadist, starb im Alter von 99 Jahren am 26. April 2012 in Prag.

 

[1] RGASPI 545-6-1466 list 113

[2] RGASPI 545-6-1460 list 30

Redaktion KFSR

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