Zwischen Nationalismus und Internationalismus – Frank Ryan. Von Guus Gonggrijp, Amsterdam.

Titelfoto: Frank Ryan. Quelle: Stichting Spanje 1936 – 1939.

Zwischen Nationalismus und Internationalismus – Frank Ryan

Von Guus Gonggrijp, Amsterdam.

Als der niederländische ehemalige Spanienkämpfer Jo Brugman nach dem 2. Weltkrieg im ostdeutschen Dresden Wohnsitz genommen hatte, hörte er, dass da irgendwo ein alter Kampfgefährte aus den Internationalen Brigaden begraben liegen sollte. Er suchte und fand das Grab von Frank Ryan, dem ehemaligen Kommandeur der irischen Spanien-Freiwilligen, der, nachdem er in Gefangenschaft geraten war, am 10. Juni 1944 in Dresden gestorben war. Und so liest man im sowjetischen Werk „Die Solidarität der Völker mit der Spanischen Republik“: „Seine sterblichen Reste ruhen in der Deutschen Demokratischen Republik und sein Grab wird liebevoll von seinen ehemaligen Waffenbrüdern der XI. Internationalen Brigade gepflegt.“ *

In den achtziger Jahren, als ich in Dresden arbeitete, habe ich Jo mehrmals besucht. Etwas an der Geschichte war merkwürdig. Die SED, die Partei der er angehörte, hatte es ihm sofort verboten, sich noch weiter mit dieser Angelegenheit zu beschäftigen. Das konnte einen banalen Grund haben. Wer mit der Öffentlichkeitsarbeit um Ryans Andenken betraut wurde, hatte Aussicht auf Irland-Reisen – und für solche Glücksfälle habe ich meine ostdeutschen Kollegen gelegentlich schon mal ihre Ellbogen gebrauchen sehen. Aber um Ryan blieb es still. Was Jo aber vor allem erstaunte war, dass der Ire in ein privates Sanatorium im vornehmen Dresdner Viertel Oberloschwitz eingewiesen worden war – nicht gerade ein Ort, wohin die Nazis politische Gefangene schickten.

Kurz vor der „Wende“ ist Jo gestorben. Den Untergang der DDR, seiner dritten Heimat, hat er nicht mehr erleben müssen, und auch nachfolgende Information ist ihm erspart geblieben.

Das politische Hinterland Ryans war die IRA. Als der spanische Bürgerkrieg ausbrach, loderten die Leidenschaften im streng-katholischen Irland auf. Der Faschistenführer O’Duffy stellte eine „Irische Brigade für Franco“ auf die Beine, die vom Empfänger übrigens schon bald als komplett nicht-verwendungsfähig heimgeschickt wurde. Ryan kämpfte ab Dezember 1936 auf der anderen Seite als Kommandeur der irischen Interbrigadisten. An der Jarama eilte seine Einheit dem sich zurückziehenden britischen Bataillon zu Hilfe, brachte eine Umgruppierung zustande und marschierte unter dem Gesang der Internationalen zur Bresche in der Verteidigung. Zwischendurch redigierte Ryan (er war ja Journalist) das „Book of the 15th Brigade“, immer noch ein wichtiges Nachschlagewerk. In einer Rundfunksendung erklärte er, dass für ihn der Kampf in Spanien eine Fortsetzung des irischen Freiheitskampfes sei. Besonders mit dem kleinen baskischen Volke fühlte er sich verwandt.

Im März 1938 fiel Ryan Mussolinis Division „Schwarze Flamme“ in die Hände. Er wurde nicht ausgewechselt, sondern erst zu Tode, und dann zu 30 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Seine Unbeugsamkeit war beispielhaft. Für seine Rettung haben sich noch der irische Präsident und sogar „General“ O’Duffy eingesetzt. Das zog die Aufmerksamkeit der deutschen Abwehr auf sich, der Spionageorganisation des Admirals Canaris also, der gute Beziehungen zu Franco pflegte. Zwei Angehörige des auf Geheimoperationen spezialisierten Regiments Brandenburg, Clissmann und Hoven, kannten Ryan noch aus der Zeit, da sie in Dublin studiert hatten. In Absprache mit dem spanischen Diktator wurden ein „Ausbruch“ und eine Flucht ins inzwischen besetzte Paris in die Wege geleitet. Von daher lotste das Duo den total desorientierten Ryan mit nach Berlin.

Für die Nazis waren irische Freiheitskämpfer interessant. Der ehemalige Stabschef der IRA, Sean Russel, war soeben aus den USA nach Berlin gekommen, und es gab ernsthafte Überlegungen, aus irischen Kriegsgefangenen eine Einheit für den Kampf gegen England aufzustellen. Schnell wurde ein Treffen der beiden Iren arrangiert. Russel legte den Arm um Ryans Schulter und sagte: „Morgen fahre ich nach Irland, Frank. Hast du Lust, mitzukommen?“ Und so gingen beide im August 1940 in Wilhelmshaven an Bord eines U-Bootes. Russel aber erkrankte während der Fahrt und starb. Anscheinend ist Ryan nicht über den Zweck der sogenannten „Operation Taube“ informiert gewesen, obwohl sich dieser doch leicht erraten ließ. Wie dem auch sei, er weigerte sich, allein in Irland an Land zu gehen, und die Operation musste abgeblasen werden. Seine letzten Jahre verbrachte er in Nazi-Deutschland mit dem semi-diplomatischen Status und den Privilegien eines „Vertreters der IRA“.

In „Nations and Nationalism“ vom Historiker Hobsbawm lesen wir: „Aus der Perspektive der antifaschistischen Linken war einer wie Frank Ryan schwer zu verstehen: ein irischer republikanischer Kämpfer, so links dass er für die spanische Republik in den Internationalen Brigaden kämpfte, aber der, nachdem er von den Truppen des Generals Franco gefangen genommen worden war, in Berlin auftauchte, wo er versuchte, im Tausch gegen IRA-Unterstützung für Deutschland eine Vereinigung von Nord- und Süd-Irland nach einem deutschen Sieg zu bedingen.“ In wieweit er sich wirklich der Kollaboration schuldig gemacht hat, bleibt unklar. Laut der Biographie „Frank Ryan: The Search for  the Republic“ von Sean Cronin (1980) soll er nur mit einigen „Freunden“ über die irische Frage philosophiert haben. Interessant ist, dass der Studentenverein, dem Clissmann und Hoven in den frühen dreißiger Jahren angehörten, und auch die Gruppe von Deutschen, die später in Berlin bei Ryan ein und aus gingen, von Cronin so beschrieben werden, dass man geneigt ist, an „Nationalbolschewisten“ zu denken. Der Biograph selber kennt den Begriff offenbar nicht, aber wer Vredes-Info 1/99 gelesen hat, weiß dass sich als solche die deutschen Faschisten um Ernst Niekisch [A] bezeichneten. Ihr besonderes Merkmal war, dass sie für ein Bündnis mit der Sowjet-Union gegen den Westen eintraten. Cronin zitiert eine Berliner Freundin Ryans, die erzählt dass „in der Gruppe“ bei ihm zu Hause voller Abscheu über die britischen Luftangriffe, aber mit Sympathie über den Kampf der Roten Armee gesprochen wurde. Dabei war Ryans Wohnung gewiss keine konspirative Adresse des kommunistischen Widerstandes. Seine Gäste gehörten vermutlich zur Abwehr, einer der vielleicht 30 Spionageorganisationen des Dritten Reiches. Eine Besonderheit des Abwehr-Chefs Canaris war, dass er Kontakte zu Oppositionsgruppen pflegte, so dass er gleichzeitig auf mehreren Schachbrettern spielen konnte, und dazu noch auf eine Nach-Hitler-Ära vorbereitet war. Es ist meines Wissens nie danach geforscht worden, aber die ganze Ryan-Geschichte scheint darauf hinzudeuten, dass Canaris hier bewusst ehemalige „Nationalbolschewisten“ eingesetzt hat. Im letzten Kriegsjahr ist dieser Erz-Intrigant übrigens wegen „Verschwörung gegen den Führer“ hingerichtet worden. Die Erben von Niekisch‘ Bewegung, die sich heutzutage „Nationalrevolutionäre“ oder „Befreiungsnationalisten“ nennen, zeigen immer noch großes Interesse an der IRA. Besonders der irische Sozialist James Connolly (nach dem die irische Sektion der 15. Internationalen Brigade benannt worden war) hat es ihnen angetan, weil er schon 1896 eine Verschmelzung von Nationalismus und Sozialismus befürwortet haben soll. Andererseits brachte diese merkwürdige faschistische Strömung auch einen Harro Schulze-Boysen hervor, der als Angestellter des Goeringschen Luftfahrtministeriums der Spanischen Republik und der Sowjet-Union wichtige Informationen zugespielt hat, und für seine Überzeugung schließlich das höchste Opfer gebracht hat.

*1 1979 hat Ryans Schwester Eilís eine Umbettung in Irland in die Wege geleitet.

Frank Ryan’s grave in Glasnevin Cemetery, Dublin.

Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Frank_Ryan_(Irish_republican)#/media/File:Frankryangrave.jpg

Die hier genannten Veröffentlichungen sind beim Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis (ISSG) in Amsterdam vorzufinden, das bei der Recherche sehr hilfsbereit war. Mein Dank gilt auch Anton Seelen vom Ierland Comité, der in einem Telefonat auf die Existenz dieser Quellen aufmerksam gemacht hat.

[A] Anmerkung der Redaktion der WEB-Seite www.kfsr.info:
Niekisch war Nationalbolschewist. Er hat Hitler aber auch in seiner Zeitschrift „Widerstand“ angegriffen und dann gar eine Broschüre mit dem Titel „Hitler – ein deutsches Verhängnis“ geschrieben. Nach dem Krieg hatte er, durch die Haft fast vollständig erblindet, eine bezahlte Lehrtätigkeit, Professur an der Humboldt-Uni in Ostberlin. Wäre es denn glaubhaft, dass ein Faschist in der Sowjetischen Besatzungszone über Philosophie lesen durfte? Unseres Erachtens waren nicht alle, die rechts von der Mitte standen, „Faschisten“. Und die Nationalbolschewisten schon gar nicht. Wenn das so gewesen wäre, dann hätte die UdSSR die Faschisten ja nachgerade gefördert, denn Niekisch und andere waren in der „Gesellschaft der Freunde des neuen Rußland“, und das war eine fellow-traveller-Organisation der Sowjetunion.

Die Redaktion dankt Rien Dijkstra von Stichting Spanje 1936 – 1939 und dem Autor Guus Gonggrijp aus Amsterdam für die Genehmigung der Veröffentlichung des Artikels “ Zwischen Nationalismus und Internationalismus – Frank Ryan“ zum spanischen Bürgerkrieg zuerst veröffentlicht in der der Zeitschrift Vredes-Info, Ausgabe des Comité Stop Starwar, 3. Quartal 2000.

Dr. Barry McLoughlin, der an der Wiener Universität als Historiker arbeitet, hat im Jahr 2014 ein Buch mit dem Titel „Fighting for Republican Spain. Frank Ryan and the Volunteers from Limerick in the International Brigades“ veröffentlicht. Dort ist die ganze Geschichte ebenfalls sehr ausführlich beschrieben. Er bestätigte uns die Geschichte und wies zugleich auf eine Veranstaltung am „Frank-Rayn-Tag“, dem 22. Juli 2017 in seinem Heimatort hin.

Redaktion KFSR

Redaktion KFSR