Lebendige Geschichte – ein Vorwort aus: „Heimatlos für eine bessere Heimat – Erinnerungen an Karl Stark und weitere Interbrigadisten“. Von Enrico Hilbert

Lebendige Geschichte – ein Vorwort

Sicher könnten wir meinen, die Geschichte ist vergangen, sie berührt uns vielleicht durch ein Buch oder einen Film, ist sonst aber nicht ausschlaggebend für unseren Alltag, für unser Leben an sich. Oft hört man diese Meinung. Doch ist das wirklich so? Stimmt es, dass wir uns frei von unserer Geschichte durch das Heute bewegen können? Sind wir unabhängig von dem, was in unserem Land oder durch unsere Landsleute in der Vergangenheit geschehen ist, oder in deren Verantwortung im Guten wie Bösen lag?

Sicher, wir tragen keine Verantwortung für das Geschehene, aber doch wohl dafür, ob es uns gelingt, die Erde so zu gestalten, dass ein menschenwürdiges Dasein für alle möglich wird, Natur und Lebenswelt nicht zerstört werden und jegliches Dasein unmöglich wird!

Vor 80 Jahren stand die Welt kurz vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges, einem Krieg bis dato unbekannten Ausmaßes. Bereits drei Jahre lang beherrschten die Nationalsozialisten Deutschland und schickten sich an, die Herren der Welt zu werden. Die Olympischen Spiele von Berlin 1936 waren Blendwerk für die Weltöffentlichkeit. Europa erlebte eine angespannte politische Situation und nur in Spanien wagte es das Volk mit der Waffe in der Hand, gar mit bloßen Händen, sich einem Putsch gegen die demokratisch legitimierte, bürgerliche 2. Spanische Republik zur Wehr zu setzen. Alles sah nach einem Sieg aus, bis Deutschland und Italien aktiv in diese Revolte eingriffen und die Putschisten unterstützten.

Doch die politisch interessierten Menschen auf der ganzen Welt verfolgten die Ereignisse in Spanien und es entwickelte sich eine einmalige Solidaritätsaktion. Mehr als 30.000 Männer und Frauen aus über 50 Ländern eilten nach Spanien, um dem Land in dieser Stunde beizustehen. Es waren bürgerliche Demokraten, Intellektuelle, Sozialdemokraten und Kommunisten, parteilose Antifaschisten und Gewerkschafter, Anarchisten, Christen und Juden. Überall auf der Welt entstanden Hilfskomitees, wurden Spenden gesammelt. Drei Jahre dauerte der Kampf, der verloren ging und nur knapp fünf Monate später, am 1. September 1939, begann mit dem Überfall Deutschlands auf Polen der Zweite Weltkrieg.

Mehr als 500.000 Spanier flüchteten 1939 nach Frankreich. Zuvor waren schon Tausende nach der Einnahme des Baskenlandes und rund 125.000 nach dem Zusammenbruch der Nordfront im Juni/Juli 1937 nach Frankreich geflüchtet, bevor in der Folge der Diktatur weitere hinzu kamen, die aus der prekären wirtschaftlichen Lage, Hunger und Perspektivlosigkeit in Spanien zur Flucht gezwungen waren. 600.000 Spanier lebten 1977 in Frankreich. Andere lebten in den beiden deutschen Staaten und überall auf der Welt verstreut, bis heute.

Geschichte hinterlässt lebendige Spuren bis in unsere Gegenwart und immer sind Kriege, Not und Elend Ursache von Flucht und Vertreibung, ja von Völkerwanderung. Also gilt es doch wiederum, deren Ursachen etwas entgegenzusetzen und die solidarische Gemeinschaft der Völker zu fördern. Dabei können wir aus der Vergangenheit lernen, von den Fehlern, den Irrwegen der Geschichte, den Verbrechen und Katastrophen, damit sie nicht in dieser oder jener Form und Ausprägung erneut geschehen. Aber auch von der positiven Seite gibt es zu Bewahrendes, von dem unbedingt erzählt werden muss, von Mut, Solidarität, Freundschaft und Lösungsansätzen für die damaliger Probleme, um sie zu entwickeln und neue Ansätze zu Antworten auf die Fragen unserer Zeit zu finden.

Zu diesen zählen die Geschichten der Menschen, die in Spanien ihr Leben riskierten, so wie Karl Stark oder die Chemnitzer, die sich auf den Weg in dieses unbekannte Land  machten. Dabei waren sie keine Kriegsbegeisterten, im Gegenteil oft pazifistisch geprägt, Religion und Staatsangehörigkeit spielten keine trennende Rolle. Erstmals waren in Spanien in den Einheiten, die durch die US-Amerikaner gebildet wurden, Afroamerikaner gleichberechtigt, führten ihre Truppen in das Gefecht. Menschen, die in Deutschland verfolgt wurden, weil sie Juden waren oder als solche galten, konnten sich ihres vermeintlichen Schicksals erwehren. Sozialdemokraten, die dem KZ entronnen waren, schöpften neuen Mut und Hoffnung, als sie in Spanien gemeinsam mit Kommunisten versuchten, dem Faschismus in Europa Einhalt zu gebieten. Sie waren an der Befreiung Europas beteiligt, gehörten zu den Idealisten für eine friedliche Entwicklung der Menschheit.

In vielen Ländern gehört dieses Geschehen zum historischen Gedächtnis, in Frankreich, Luxemburg, den USA, Russland, Italien, Kuba, Großbritannien, Irland und der Schweiz wurden die Freiheitskämpfer geehrt, gibt es Straßen und Plätze, die ihre Namen tragen, gibt es Museen, Gedenkstätten und Ausstellungen; in Spanien selbst erhielten sie 1996 die Ehren-Staatsbürgerschaft, auch die deutschen Interbrigadisten. Am 11. Oktober 2016 beschloss die Katalanische Regierung, den 15. Oktober zum jährlichen „Nationalen Gedenktag für die Opfer des Bürgerkrieges und der Unterdrückung durch die Franco-Diktatur“ zu erklären und der 22. Oktober 2016 wurde als Tag der Internationalen Brigaden begangen.

In unserem Land gestaltet sich das Erinnern an diese kurze Episode des 20. Jahrhunderts eher kompliziert, werden Legenden und Behauptungen tradiert, die mit den historischen Ereignissen nichts zu tun haben, aus aktuell-politischem Kalkül heraus. Obwohl prominente Unterstützer der Spanischen Republik die Geschicke in Ost und West prägten, Willy Brandt als einer von ihnen sogar Bundeskanzler wurde, gehört ihr Wirken in den Jahren 1936 bis 1939 nicht zum historischen Gedächtnis unseres Landes. Nur wenn es nutzt, um zum Beispiel Einsätze der Bundeswehr im Ausland vor dem eigenen Volk zu rechtfertigen, kam zum Beispiel der ehemalige Außenminister Joseph Fischer schon auf die Idee, dies mit den Internationalen Brigaden in Spanien positiv zu begründen.

In unserer Stadt gab es einst ein Wohngebiet „Hans Beimler“, benannt nach dem wohl bekanntesten deutschen Spanienkämpfer, im Volksmund heißt es immer noch „Beimler-Gebiet“ oder einfacher, wenn jemand mit der Straßenbahn in Richtung Gablenz unterwegs ist, wohnt er doch zumeist „im Beimler“. Eine Bibliothek im Versorgungs-Zentrum hieß ebenso und deren Umbenennung in den 1990er Jahren wurde durch den Protest vieler Chemnitzer aber auch international Beteiligter verhindert. Mittlerweile ist diese Bücherei geschlossen. Das Denkmal des Chemnitzer Bildhauers Volker Beier erinnert vor dem Gablenz-Center an diese mutigen Menschen und bedarf dringend einer Sanierung (siehe Titelbild). Einige Straßennamen könnten einem zu Recht „Spanisch vorkommen“, wie Hans Ziegler oder Horst Menzel, obwohl sie nicht so klingen. Auf dem Friedhof an der Reichenhainer Straße gab es noch vor einigen Jahren einen Grabstein mit französischer und spanischer Inschrift. Die Kunstsammlungen unsere Stadt verwahren ein Bild der Spanierin Nuria Quevedo, die zuletzt im HECK-ART-Haus ausstellte.

Als Urlauber könnte man in Spanien fast überall auf die Spuren des Krieges stoßen. Auf meiner letzten Urlaubs-Reise durch Andalusien begab ich mich eher zufällig auf die Fährte der aus Málaga vor den Franquisten flüchtenden Zivilbevölkerung, die im Februar 1937 die Stadt fluchtartig verlassen musste, wenn sie den mordenden Truppen entkommen wollte. Auf der Küstenstraße in Richtung Almería wurden die Menschen von Flugzeugen und Schiffen beschossen, tausende kamen ums Leben. Seit 2015 erinnert ein kleines Denkmal in Torre del Mar an dieses Kriegsverbrechen.

Mit diesem kleinen Band über das Leben von Karl Stark und den Porträts der Chemnitzer Antifaschisten erinnern wir an unsere Geschichte und hoffen damit, auch zum Nachdenken anregen zu können, über Flüchtlingsgeschichten und Kriege in unseren Tagen.

Enrico Hilbert

Aus: „Heimatlos für eine bessere Heimat – Erinnerungen an Karl Stark und weitere Interbrigadisten“
Herausgeber: Klinke e.V., Chemnitz:
zu beziehen über VVN/BdA, Rosenplatz 4, 09126 Chemnitz.

Redaktion KFSR

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