Medienspiegel: „Suchende Dokumentarfilme? Muss man suchen …“ Von Christian Bartels für evangelisch.de/blogs/medienkolumne

Tietelbild: Foto: shutterstock/Freedom Studio

Die Redaktion von www.kfsr.info dokumentiert in der Reihe Medienspiegel mit freundlicher Genehmigung des Autors Christian Bartels, freier Journalist, Experte für Medienthemen und Kolumnist unter anderem für das „Altpapier“ und der Redaktion von evenagelisch.de nachstehende MEDIENKOLUMNE:

Suchende Dokumentarfilme? Muss man suchen …
… zwischen den vielen schnellen Fernseh-Dokus. Aber es lohnt sich, wie der „Tante-Emma-Laden-mäßig“ über zehn Jahre hinweg produzierte Dokumentarfilm „Franco vor Gericht“ auf DVD, im Internet und im „ambulanten Kino“ gleichzeitig zeigt.

Von Christian Bartels*. 27. September 2018

Das Präfix „Doku“ begegnet Mediennutzern oft, etwa in „dokufiktionalen“ „Dokudramen“, im Fernseh-Genre „Dokusoap“ und solo auch: „Dokus“ werden gerne mal ins Programm geschoben (oder es werden, versehentlich, „zwei … zum gleichen Thema“ „bestellt“). Solche Dokus dauern selten lange, können also schnell geguckt werden – und müssen schnell gefilmt werden. Wonach man in den Medien länger suchen muss: nach Produktionen, die den langen Begriff Dokumentarfilm verdienen.

Dabei gibt es sogar welche, die in nahezu zehnjähriger Arbeit entstehen. „Die Siedler Francos“, 2012 erschienen, und ganz neu „Franco vor Gericht“ von Lucía Palacios und Dietmar Post und ihrer Berliner Produktionsfirma „play loud! productions“ sind Beispiele dafür. Gerade sind sie zusammen mit einem Buch im Paket zu haben.

Bereits diese Paketierung verdient Aufmerksamkeit: drei Produktionen (zwei Filme, ein Buch) in jeweils drei Sprachen (spanisch, deutsch und englisch), die auch noch in mehreren Formen auf den Markt kommen: Außer auf physischen Datenträgern, also als DVD beziehungsweise gedruckt, läuft der neue Film auch im Kino. Gerade sorgt „Franco vor Gericht“ in Spanien für gewisse Furore (vgl. „El Pais“), Mitte Oktober wird er in Deutschland starten. Dietmar Post nennt das das „ambulante Kino“ jenseits des „Elfenbeinturms“ aus Fernsehen, Festivals und Förderern. Überdies lassen die Filme sich im Internet streamen – für 2,50 Euro auf playloud.org. Das widerspricht ungefähr allen Marktregeln: Eigentlich sind Kinofilme, auch dokumentarische, eine gewisse Zeit bzw. ein Zeitfenster lang exklusiv im Kino zu sehen, bevor sie auf DVD erhältlich und in weiteren Verwertungsarten zu sehen sind.

„Wir lassen uns nicht auf unterschiedliche Verwertungsfenster für Kinostart, DVD- und Fernsehauswertung im von Filmförderern vorgegebenem Zeitabstand ein“, sagt Dietmar Post dazu. Stattdessen gibt es „jetzt beim ‚Franco‘-Paket eine gemeinsame Kampagne für Kino- und DVD-Auswertung parallel – und für das Buch.“

„Tante-Emma-Laden-mäßig“

Das geht erstens, weil im bescheidenen Budget („Die Siedler Francos“ habe rund 65.000 Euro gekostet, heißt es im Buch) keine Filmförderung steckt. Post und Palacios finanzieren ihre Filme anders – „Tante-Emma-Laden-mäßig, oder nach dem Frederick-Wiseman-Motto ‚Wenn ich Geld kriege, kriege ich es‘, und seien es 100 oder 1000 Euro.“ Die beiden Filmemacher haben vor 15 Jahren „die Entscheidung getroffen, so viele Rechte wie möglich zu behalten“, erklärt Post. Das betrifft in der Praxis etwa „bei Auftragsproduktionen alle Rechte für den Bildungsbereich, um sie an die Bundeszentrale für politische Bildung, Landeszentralen oder amerikanische Unis“ lizensieren zu können. So sind „Die Siedler …“ bei der BPB auch zu haben.

Daneben kämpft Post darum, „dass in redaktionellen Artikeln im Internet Links nicht zu Youtube führen“, sondern zu playloud.org (das auch Musik publiziert). Worüber er aber sogar mit der „taz“ diskutieren musste, die auch lieber Youtube-Videos einbettet. „Das ist fast überall so, man hat sich bei allen großen Tageszeitungen den Monopolisten von Amazon, Youtube etc. ergeben“, sagt er.

Zu einem aktuellen medienpolitischen Aspekt führt dieser Ansatz außerdem: Solange Filme in Fernsehsender-Mediatheken oder auf Youtube gratis zu sehen sind, bezahlt niemand dafür. „Das bedeutet bei Fernseh-Koproduktionen jedes Mal harte Diskussionen um die Mediatheken-Verweildauer“, schildert der Filmemacher ein Problem vieler Dokumentarfilmer: „Mediatheken sind praktisch eine neue Verwertungsart, aber ohne Extra-Bezahlung“.

Im Regelfall ist Fernseh-Beteiligung die mit Abstand wichtigste Geldquelle für alle, die irgendetwas in irgendeinem Sinne Dokumentarisches drehen wollen. Bei den „Franco“-Filmen war der Ansatz, während der Produktionsphase der Kinofilme aus weitgehend dem gleichen Material kürzere Fassungen für interessierte öffentlich-rechtliche Sender zu erstellen. Arte zeigte im Februar eine 52minütige Version der Dokumentation. Um eine 45-Minuten-Version gab es Streit: Der WDR habe sich geweigert, den Film abzunehmen, berichtet Post. „Sie lehnten grundweg die Machart des Films ab, hielten ihn für nicht sendbar und beschlossen dann, uns Produzenten nicht die letzte Rate auszuzahlen. Neben dem inhaltlichen und ästhetischen Druck sollten wir jetzt auch finanziell bestraft werden“. Das Projekt sei um ein Jahr zurückgeworfen worden. Erst durch Vermittlung der AG Dok einigte man sich schließlich.

Es fehlte die „Emotionalität“

Worum der Streit ging? Post: „Es war nicht der inzwischen gewohnte reine Empörungsfilm um geraubte Babys oder der schöne Feelgoodfilm“, dem Sender habe „Emotionalität“ gefehlt. Sein Film sei „weder reißerisch, noch ‚embedded‘, drückt nicht auf die Tränendrüse, sondern erzählt so nüchtern wie möglich“. Das kann nachvollziehen, wer die Kinofassung sieht: Da gibt es keine Untermalungsmusik und keinen einordnenden Offkommentar, der Zuschauern sagt, was von welchem Zeitzeugen zu halten ist. Wer Geduld mitbringt, sich auf die nüchternen Bilder einlässt und auf das, was die Gesprächspartner sagen, bekommt nachhaltig ein Gefühl dafür, wie im heutigen EU-Mitgliedsland Spanien Meinungen über die jahrzehntelange, mörderische Militärdiktatur Francos aufeinanderprallen: die der Opfer oder ihrer Hinterbliebenen und die der Täter, die niemals angeklagt wurden – außer in Argentinien, weshalb die deutsche Kinofassung den Untertitel „Das spanische Nürnberg“ trägt. Für Zuschauer, die sich für Europa und seine Zeitgeschichte interessieren, ist das hochspannend, wenn dann etwa auch Konrad Adenauer mal auftaucht – oder der spanische König Juan Carlos, der hierzulande eher aus „Royals“-„Dokus“ bekannt ist. In Spanien spielte er bei der transición, dem bis heute umstrittenen Übergang von der Franco-Diktatur zur Demokratie, eine wichtige Rolle.

Eine weitere Fernseh-Kurzfassung zeigte dann Phoenix, „die den Film sehr mochten“, sagt Post. Bei Arte war er 30 Tage lang in der Mediathek zu sehen – was wiederum einen Kompromiss darstellte. Der Kultursender wollte eine längere Verweildauer, ohne zusätzlich dafür zu bezahlen. Inzwischen jedenfalls gibt es im Netz kaum noch Spuren dieser Fernsehfassungen (außer einem „Junge Welt“-Interview mit Post anlässlich der Arte-Ausstrahlung: im Internetauftritt der Kämpfer und Freunde der Spanischen Republik 1936–1939). Jetzt muss, wer den Film sehen will, etwas dafür bezahlen, und die Filmemacher haben etwas davon.

„Noch nach zehn Jahren Belang“

Damit das playloud-Rezept funktionieren kann, muss natürlich noch eine Bedingung erfüllt werden: Die Filme dürfen nicht gleich nach Ausstrahlung überholt und gleichgültig sein. „Wir hatten den Plan, etwas Zeitloses machen, das noch nach zehn Jahren Belang hat“, formuliert Dietmar Post den Ansatz, und hat dafür auch einen Genrenamen: „suchender Dokumentarfilm“. So lautet auch der Untertitel des Buches mit Essays etwa von Georg Seeßlen und Kerstin Stutterheim. Suchende Filme seien solche, „die mit einer klaren Idee losziehen, sich aber auf Orte, Landschaften, Protagonisten einlassen und keine vorgezeichneten Wege gehen“, sagt Post. Er plädiert für den „zweiten Blick“ statt „Tagesjournalismus“ und sieht sich in der Tradition von Klaus Wildenhahn, dem kürzlich verstorbenen Dokumentarfilmer („Medienkorrespondenz“-Nachruf), dessen Filme in den letzten Jahrzehnten, wenn überhaupt nur noch in den Dritten Programmen liefen, von D.A. Pennebaker und Richard Leacock.

Und tatsächlich sind solche Filme etwas völlig anderes als die schnellen, kurzen Dokus auf den Rand-Sendeplätzen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Posts und Palacios‘ Filme bilden ein auf Grund der Produktionsweise nicht gerade umfangreiches, aber eindrucksvolles Werk. Noch dazu gehört „Monks – The Transatlantic Feedback“. Der Film über die Rockband, die Vietnamkriegs-kritische US-amerikanische GIs in den 1960er Jahren in Deutschland gründeten, gewann 2008 einen Grimme-Preis und hätte international Furore machen können. Sony Pictures Classics wollte ihn für die USA kaufen, „aber sie wollten die Passagen mit den deutschen Managern ändern“, erzählt Post. Darauf ließ er sich nicht ein.

„Deutsche Pop Zustände“, ein weiterer Film der beiden über Popmusik, war eine Auftragsproduktion des Kultursenders 3sat, der nur selten eigene Produktionen herstellt. „Da sollten es 60 Minuten sein, wir gingen mit 90 Minuten in den Rohschnitt, es wurde ein 82-Minuten-Film“, und nach der Fernsehausstrahlung hatte 3sat gegen eine nachträgliche Kinoauswertung nichts einzuwenden. So lief der Film in 15 Kinos. Da kamen kaum sehr viele Einnahmen zusammen, „aber es gab doch noch Artikel in ‚SZ‘ und ‚Spiegel'“ (wohingegen nach der TV-Ausstrahlung von 23.25 bis 0.45 Uhr kaum Kritiken erschienen waren – ich hatte eine für „epd medien“ verfasst, die im playloud-Blog noch zu lesen ist).

Und Post ist mit dem Film von 2015 immer noch – bezahlt – in Schulen unterwegs, die das Thema interessiert. Denn das ist immer noch (oder mehr denn je) aktuell: Um deutsche Pop- und Rockmusik von rechts und weit rechts geht es. In der schnellen Gegenwart ist es weiterhin möglich, in jahrelanger Arbeit Filme zu drehen, die, wenn sie fertig sind, noch jahrelang gesehen zu werden verdienen: Auch das zeigen Lucía Palacios‘ und Dietmar Posts Filme.

Redaktion KFSR

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