Vielbeachtete Buchvorstellung in Glauchau: „Mediziner ‚Rassenschänder‘, Interbrigadist…?“ | Autor: Dr. Konstantin Seifert.

Titelbild: Dieses Foto dokumentiert den Empfang der Niederlungwitzer, als Hans Serelman aus dem KZ Sachsenburg nach Hause kam.“Foto: privat.

Am 19. Oktober 2018 fand eine vielbeachtete Buchvorstellung mit Vortrag und Diskussion Schloss Forderglauchau – Konzertsaal, Schlossplatz in Glauchau statt. Dr. Konstantin Seifert, Autor des Buches hielt einen Vortrag über den Arzt und Spanienkämpfer Hans Serelman. Über 90 Personen waren gekommen, um den Vortrag zu hören und das Buch „Mediziner ‚Rassenschänder‘, Interbrigadist…?“ aus dem Verlag Hentric&Hentrich – Der Verlag für jüdische Kultur und Zeitgeschichte – zu erwerben. Es ist in der Tat nicht alltäglich, dass ein Oberbürgermeister , wie es Dr. Peter Dresler (parteilos) zu zu einem Vortrag über einen Kommunisten und Spanienkämpfer einlädt. Dr. Nora Pester vom Verlag Hentrich&Hentrich hat die sich anschließende Diskussion sehr engagiert und gekonnt moderiert.

Die Redaktion dokumentiert an dieser Stelle eine Rezension von Dr. Werner Abel. Anschließend wird auf andere Veröffentlichungen hingewiesen.

 

Konstantin Seifert, Mediziner, „Rassenschänder“, Interbrigadist? Hans Serelman-Der deutsche Arzt des Maquis, Verlag Hentrich&Hentrich, Berlin 2018, 263 Seiten, 24,90 Euro

Hans Serelman, ein deutscher Arzt in der französischen Résistance

»Ihn verließ die Ruhe nicht«

Von Werner Abel

Die Vorlage für die Nazis lieferte der in den zwanziger Jahren (leider) vielgelesene Schriftsteller Artur Dinter in seinem Buch „Die Sünde wider das Blut“: Pseudowissenschaftlich aus der Tierzucht abgeleitet, stellte er die These auf, dass der Geschlechtsverkehr eines Juden, eines Angehörigen einer „niederen Rasse“, mit einer höherrassigen Arierin ihren Körper derart verderben würde, dass sie künftig nur noch Bastarde gebären könne. Man könnte das als krude Phantasie eines irren Antisemiten abtun, wäre damit von den Nazis nicht tausendfach die „Rassenschande“ begründet worden. Nun geschah aber 1934 in dem kleinen sächsischen Ort St. Egidien bei  Niederlungwitz in der Nähe von Chemnitz etwas, was selbst die schmutzige Phantasie Artur Dinters nicht einkalkuliert hatte: Der in Niederlungwitz wohnende jüdische Arzt Dr. Hans Serelman, Kommunist noch dazu, verabfolgte einer durch schwere Wehen bedrohten „arischen“ Frau eine Eigenbluttransfusion. Trotz aller Bemühungen verstarb die Frau, aber ihr Kind konnte gerettet werden. Zehn Tage später wurde der Arzt verhaftet und zunächst im KZ Hohenstein, dann im KZ Sachsenburg inhaftiert. Obwohl für die Nazis nunmehr „Rassenschänder“, scheint seine Hilfe für die Patientin aber nicht der Grund für die Inhaftierung gewesen zu sein. Jüdischen Ärzten war ihre Tätigkeit zwar substantiell erschwert worden, aber die Nürnberger Rassengesetze wurden erst im September 1935 erlassen. Als aber nun auch noch die einflussreiche New York Times 1935 berichtete, Serelman sei als „Rassenschänder“ ins KZ gekommen, wurde eine Legende geboren, die sich bis heute in der medizinhistorischen Literatur findet. Natürlich hassten die Nazis den Juden Serelmann, aber ihr Vorgehen galt wohl eher dem Kommunisten und entschiedenen Antifaschisten Serelman. In dieser Hinsicht blieb er sich, trotz aller Repressionen, auch in den kommenden Jahren treu. Als er das Glück hatte, aus dem Konzentrationslager entlassen zu werden, war ihm bewusst, dass der Kampf damit nicht beendet war.

Es war ein kurzes, aber spannendes und ereignisreiches Leben, das Hans Serelman vergönnt war. Dass wir über dieses Leben, das wahrscheinlich nur in jenem „Jahrhundert der Extreme“ möglich war, inzwischen mehr wissen, ist dem Fleiß und der Beharrlichkeit Konstantin Seiferts zu danken, der als Biologie- und Sportlehrer arbeitet und der sich wohl zwanzig Jahre mit der Person Serelman beschäftigte. Entstanden ist eine faszinierende Biographie, die knapp und treffend den jeweiligen historischen Kontext einbindet.

Der 1898 in Berlin geborene Hans Serelman hatte in Berlin Medizin studiert und war seit 1921 in der kommunistischen Studentenbewegung und der KPD aktiv. Kurze Zeit später trat er in den Proletarischen Gesundheitsdienst, der Internationalen Arbeiterhilfe, dem Internationalen Bund der Opfer des Krieges und der Arbeit und dem Arbeitersportkartell bei. Anzunehmen ist, dass er seit 1923 dem geheimen M-Apparat der KPD angehörte. Obwohl er seit 1921 die österreichische Staatsbürgerschaft besaß, gehörte er zu den linken Intellektuellen, die in der Weimarer Republik den Kampf gegen den Faschismus aufnahmen. Dabei blieb aber noch Zeit, sich fachlich weiter zu qualifizieren.

Es war nur konsequent, dass sich Serelman im Spanischen Krieg zu den Internationalen Brigaden meldete und als Feldarzt und als Mediziner in verschiedenen Hospitälern arbeitete. Er nahm an der letzten großen Offensive der Republik, der Ebro-Schlacht, teil. „Unsere Arme waren rot von Blut bis an die Ellbogen … Ihn verließ die Ruhe nicht und er behandelte die Soldaten ohne Pause, bis der letzte Mann versorgt war“, schrieb ein Kamerad über Serelman. Traurig nur, dass ihn die eigenen Genossen misstrauten und verhinderten, dass er in die KP Spaniens aufgenommen wurde. Ihm wurde „trotzkistisches Verhalten“ vorgeworfen, weil er angesichts der riesigen Materialüberlegenheit der Franquisten der Meinung war, dass die Sowjetunion die Republik hätte intensiver unterstützen müssen.

Nach der Niederlage der Republik musste Serelman wie die anderen Interbrigadisten auch nach Frankreich emigrieren. Dort unter entwürdigenden Bedingungen interniert, war er wieder als Arzt tätig und veröffentlichte sogar 1941 eine Studie über den Einsatz von Insulin bei Wundbehandlungen.

Nach der deutschen Besetzung Frankreichs wurden viele Interbrigadisten an die Nazis ausgeliefert. Für Serelman als Juden hätte das den sicheren Tod bedeutet. Ihm gelang es zu fliehen und sich dem französischen Widerstand, dem Maquis, anzuschließen. Er war wohl der einzige deutsche Arzt, der im Maquis kämpfte. Am 19. Juni 1944 kam es nahe der Gemeinde Oloron-Sainte-Marie zu einem Gefecht mit deutschen Polizeitruppen, bei dem der verwundete Serelman den Rückzug der Maquis-Gruppe zu decken versuchte. Er überlebte nicht, die Deutschen verbrannten die Leichen mit Flammenwerfern. Noch heute erinnert ein Grabstein an Hans Serelman, der in Frankreich als Angehöriger der Franc-Tireurs et Partisans (FTP) und der Forces Françaises de l´Intérieur (FFI) geehrt wird. In beiden Teilen Deutschlands war er in Vergessenheit geraten, auch aus diesem Grund ist es verdienstvoll, dass Konstantin Seifert mit der Hilfe des Verlags Hentrich&Hentrich diese empfindliche Erinnerungslücke schließen konnte. Das aufregende Leben Hans Serelmans böte Stoff für ein spannendes Drehbuch, schrieb Enrico Hilbert auf dem Klappentext des Buches. Dem kann und muss man sich anschließen.

Foto: Archiv

Aus „neues deutschland“ (nd), Bundesausgabe vom Freitag, 19. Oktober 2018, Seite 14

LINKS:

„Viele Jahre hat Konstantin Seifert über das Leben des jüdischen Niederlungwitzer Arztes geforscht. Doch alles ist noch nicht geklärt.

Niederlungwitz.
Die Situation musste sich enorm zugespitzt haben. Der Geburtsvorgang dauerte nun schon länger als einen Tag, als die Hebamme Lina Selma Wulf den Doktor rief. Es war der 14. Juli 1934 in St. Egidien. Hilda Jost, damals 26 Jahre alt, gebar unter Komplikationen ihre Tochter Helga. Um das Leben der jungen Mutter zu retten, spendete der aus dem Nachbardorf Niederlungwitz herbeigerufene Arzt Hans Serelman sein eigenes Blut. Serelman war Jude, die Patientin nicht. Zehn Tage später wurde der Arzt verhaftet, kam zunächst in das Schutzlager Hohnstein in der Sächsischen Schweiz und später ins KZ Sachsenburg. Gut ein Jahr später, in Oktober 1935, stand die Geschichte in der „New York Times“. Wegen „Rassenschande“ sei der jüdische Arzt ins KZ gekommen.“

 

Redaktion KFSR

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