»Die Kirche wollte sich überhaupt nicht äußern« / Dokumentarfilm porträtiert Opfer des Kinderraubs in Spanien. Die Verbrechen sind nicht aufgearbeitet. Gespräch mit Inga Bremer. Interview: Carmela Negrete.

»Die Kirche wollte sich überhaupt nicht äußern«

Dokumentarfilm porträtiert Opfer des Kinderraubs in Spanien. Die Verbrechen sind nicht aufgearbeitet. Gespräch mit Inga Bremer. Interview: Carmela Negrete

Inga Bremer ist Regisseurin. Ihr ­neuer Film »Francos Erbe – ­Spaniens ­geraubte Kinder« handelt vom ­organisierten Kinderraub in Spanien.

Ihr neuester Dokumentarfilm porträtiert Menschen, die Opfer des Kinderraubs in Spanien geworden sind. Der systematische Kinderraub wurde während der Diktatur Francos etabliert. Noch in den 90er Jahren gab es solche Fälle, wohl 300.000 Kinder sind betroffen. Wie kamen Sie auf die Idee, den Betroffenen einen Dokumentarfilm zu widmen?

Vor fünf Jahren habe ich etwas von Fällen aus Mallorca gelesen, aber ich kannte damals noch nicht das Ausmaß des Skandals. Als ich erfuhr, dass es so viele Betroffene in Spanien gibt, hat mich die Geschichte nicht mehr losgelassen. Mit dem Film wollte ich zeigen, wie solche Schicksale aussehen. Ich habe mich für eine Tochter entschieden, Alicia, die ihre Eltern sucht. Und ich zeige eine Mutter, Clara Alfonsa, die ihre Tochter gefunden hat. Dabei wollte ich deutlich machen, wie die Suche nach den Verwandten das eigene Leben ändert. Das Politische habe ich bewusst nicht in den Vordergrund gestellt. Ich hätte viel Archivmaterial nutzen können, Aufnahmen von Franco oder Hitler zeigen können. Doch das wäre ein ganz anderen Film geworden.

Einige der Kinder wurden gar in andere Länder verkauft. Darauf gehen Sie in Ihrem Film nicht ein.

Auch deren Lebenswege zu zeigen, das wäre zu viel für mein Projekt geworden. Ich hätte dann zu zahlreiche Geschichten gehabt und wäre den einzelnen Personen nicht mehr gerecht geworden. Dazu kommt die Schwierigkeit, dass viele gar nicht wissen, dass sie adoptiert wurden. In ihren Geburtsurkunden sind die Adoptiv- als leibliche Eltern eingetragen.

Sie zeigen eine Krankenschwester, die erzählt, wie Kinder aus ihrem Krankenhaus weggenommen wurden. Wer die Frau ist, erfährt man nicht. War es kompliziert, sie davon zu überzeugen, mit Ihnen zu reden?

Es war sehr schwer. Man merkt schnell, dass nicht gern über das Thema gesprochen wird. Viele, die damals involviert waren, leben noch.

Eine der Betroffenen erwähnt eine Klinik, in der die DNA von Kindern und Eltern verglichen wurde. So sollte die eventuelle Verwandtschaft festgestellt werden. Doch die Mediziner gaben auch falsche Ergebnisse aus, die von anderen Krankenhäusern widerlegt wurden. Besagte Einrichtung gehört der Schwester einer Politikerin, die Mitglied der postfrankistischen Regierungspartei PP ist. Mehrere Journalisten wiesen Verbindungen zwischen einzelnen PP-Vertretern und dem organisierten Kinderraub nach. Warum gehen Sie auf diese Dimension nicht ein?

Auch das hätte bedeutet, einen ganz anderem Film zu machen. Und um die Verwicklung einzelner Politiker auch für ein internationales Publikum verständlich zu machen, hätte ich sehr viel erklären müssen. Daher wird im Film nur darüber gesprochen, dass es Verbindungen gibt, ein Beispiel führen wir dafür auch an. Man muss aber schlussfolgern, dass viele Politiker involviert waren.

Die Opfer fordern Gerechtigkeit und rufen auch die Justiz an. Sie stehen aber oft vor dem Problem, dass die katholische Kirche viele ihrer Archive immer noch nicht öffnet. Dabei waren auch deren Vertreter in den Kinderraub tief involviert. Was hat die Kirche Ihnen gegenüber gesagt?

Sie wollte sich überhaupt nicht äußern. Ich habe auf verschiedenen Wegen versucht, Kontakt aufzunehmen, habe mehrere Stellen angefragt. Wir haben sogar den Papst angeschrieben. Es kommt aber nicht im Film vor, denn ich habe mich gegen das Stilmittel eines Off-Kommentars entschieden. Die Geschichten sollte über ihre Protagonisten erzählt werden. Die Schwierigkeiten der Dreharbeiten wollte ich nicht thematisieren.

Welchen Eindruck macht es auf Sie, dass diese Verbrechen von der Justiz nicht aufgearbeitet werden? Und das in einem Land, in dem viele Straßen die Namen von Faschisten tragen und sogar ein Monument für Franco noch steht?

Ich war erst mal schockiert. Emotional war das sehr hart für mich. Ich kann auch nicht nachvollziehen, dass es eine Stiftung gibt, die Francos Namen trägt – und dass sie faschistische Werte vertritt.

Quelle: junge Welt, Ausgabe vom 15.04.2017, Seite 8 / Ausland

Wir danken Carmela Negrete für die freundliche Genehmigung der Veröffentlichung des Interviews.

Redaktion KFSR

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