Niederländische Antifaschisten fordern ein Ende der Bundeswehr-Ehrungen auf dem SS-Friedhof Ysselsteyn. Beiträge von Karlen Vesper (nd) und Gerrit Hoekman (jW)

Titelfoto: Nard Schellekens/Wikimedia

Unglaublich – in Uniform und mit Blaskapelle!

Niederländische Antifaschisten fordern ein Ende der Bundeswehr-Ehrungen auf dem SS-Friedhof Ysselsteyn. Von Karlen Vesper

Es ist weit mehr nötig, als Kasernennamen auszutauschen oder Soldatenstuben auszumisten. Angesichts des Skandals um Rechtsextreme in der Bundeswehr fordert die niederländische Vereinigung der Opfer des Faschismus, AfvN, erneut ein sofortiges Unterbinden obskuren Gedenkens auf dem Friedhof Ysselsteyn in Venray. Mindestens zwei Mal im Jahr ehren Bundeswehrsoldaten und -offiziere die dort nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bestatteten Wehrmachts- und SS-Angehörigen. Einmal im Juli während der Vierdaagse (Vier-Tage-Märsche) im nahe gelegenen Nijmegen, an denen deutsche Militärs fast immer teilnehmen, sowie am Volkstrauertag im November (da sogar in Anwesenheit des deutschen Botschafters und hoher Generäle).

»Sie ehren ihre sogenannten Kameraden in Uniform und mit Blaskapelle. Das ist unglaublich!«, empört sich Arthur Graaff von der AfvN zu Recht. Er bittet die deutsche Öffentlichkeit, auf die Bundestagsabgeordneten und die Bundesregierung einzuwirken, diesem Treiben ein Ende zu bereiten. Schlimm genug, dass sich auf dem SS-Friedhof regelmäßig Neonazis treffen, die unbehelligt und ohne Scham Hakenkreuz- und SS-Fahnen mit sich führen. In den letzten Jahren wurden in Ysselsteyn mehrfach sterbliche Überreste von Nazis, die in der Umgebung gefunden wurden, mit allen militärischen Ehren von der Bundeswehr beigesetzt, so Graaff.

Auf dem 30 Hektar großen Gelände sind 31 598 Tote beerdigt, neben Deutschen ebenso Niederländer, Polen, Russen und Ukrainer, die freiwillig in der faschistischen Wehrmacht oder SS dienten. Auch Kriegsverbrecher Ernst Knorr liegt dort, ein Düsseldorfer Gestapo- und SS-Mann, der 1940 ins besetzte Holland versetzt wurde, wo er im Referat IV A für die »Bekämpfung des Kommunismus« zuständig und für die Ermordung vieler Widerstandskämpfer verantwortlich war.

Der 1946 durch den Niederländischen Gräberdienst angelegte Friedhof Ysselsteyn ist 1976 in die Obhut der Bundesrepublik Deutschland übergeben worden. Seit Jahren protestieren niederländische Antifaschisten, unterstützt von der Fédération Internationale des Résistants (FIR), der internationalen Dachorganisation der Verbände antifaschistischer Widerstandskämpfer, gegen die offiziellen und inoffiziellen Umtriebe auf dem NS-Friedhof. Es ist Zeit, dass Berlin handelt!

In Spanien ist es unlängst geschehen. Mit dem Einverständnis der Bundesregierung wurden am Vorabend des 80. Jahrestages der Bombardierung von Gernika die letzten Spuren der Glorifizierung der »Legion Condor« auf dem Madrider Friedhof La Almudena getilgt. Die dort zu Franco-Zeiten im Bonner Auftrag errichtete Gedenkmauer mit der Aufschrift »Hier ruhen deutsche Piloten, gefallen im Kampf für ein freies Spanien. Deutsche Flieger, gestorben für Gott und für Spanien« ist entfernt worden. Der Verein »Kämpfer und Freunde der Spanischen Republik 1936-1939« (KFSR) begrüßte die Beseitigung des Ehrenmals für die Mörder baskischer Frauen, Männer und Kinder, fordert aber weiterhin explizit, die Traditionspflege der Bundeswehr im Bezug auf die furchtbaren Legionäre einzustellen und stattdessen die Deutschen, die auf der Iberischen Halbinsel den Faschismus abzuwehren versucht hatten, zu ehren.

Quelle: neues deutschland (nd), Berlin-Ausgabe vom Samstag, 27. Mai 2017, Seite 27.

Rituale auf Besatzerfriedhof

Niederländische Antifaschisten wollen Ehrerbietung für deutsche Wehrmachts- und SS-Soldaten ein Ende setzen. Von Gerrit Hoekman

Kreuz an Kreuz. Grau an Grau. Grab an Grab. 28 Hektar – der Soldatenfriedhof im niederländischen Ysselsteyn ist von der Fläche her der größte in Europa. 31.538 deutsche Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg die Niederlande angriffen und besetzt hielten, liegen dort begraben. 6.000 von ihnen dienten in der Waffen-SS, genauso wie die 550 niederländischen Kollaborateure, die auf dem Friedhof beerdigt sind.

Nach dem Krieg ließ die niederländische Regierung nach und nach alle in dem Land gefallenen Deutschen exhumieren und nach Ysselsteyn umbetten. Am sogenannten Volkstrauertag im November schaut regelmäßig eine Delegation der Bundeswehr vorbei, angeführt vom deutschen Botschafter in Den Haag. Niederländische Offiziere nehmen ebenfalls an der Veranstaltung teil. Hin und wieder machen sich auch kleine Gruppen von Neonazis aus dem 20 Kilometer entfernten Deutschland auf den Weg über die Grenze nach Ysselsteyn. Im Internet kursieren Fotos von ihren heimlichen Aufzügen mit Hakenkreuzfahnen und SS-Runen.

Die allermeisten Niederländer lassen den Friedhof links liegen. Was sollen sie auch dort? Die ehemaligen Besatzer ehren? Oder die Verräter aus den eigenen Reihen? »Deutsche Soldaten, niemand weint um euch! Niemand!«, steht im Gästebuch, das am Eingang ausliegt. Der niederländische Regisseur Bart Hölscher hat da so seine Zweifel. Immerhin liegen auf den Gräbern hier und da frische Blumen.

In seinem Ende April im Lokalsender 1 Limburg gezeigten Dokumentarfilm »Het zijn maar Duitsers« (»Es sind nur Deutsche«) beleuchtet Hölscher den Soldatenfriedhof Ysselsteyn von allen Seiten. Wer der niederländischen Sprache mächtig ist, kann sich den bemerkenswerten Film in der Mediathek des Senders im Internet anschauen. »Hier liegen nur Nazis«, sagt Arthur Graaff vom »Bond van Antifascisten« (AFVN/BVA), als er sich für den Film gemeinsam mit Hölscher auf dem Friedhof umschaut. »Wenn es nach mir ginge, würden sie alle ein paar Kilometer weiter auf der anderen Seite der Grenze abgeladen.«

Seit die Kunde von extrem rechten Umtrieben in der Bundeswehr auch unsere Nachbarn erreicht hat, wollen Antifaschisten aus den Niederlanden dem Mummenschanz in Ysselsteyn ein für allemal ein Ende bereiten. »Wir versuchen innerhalb eines Jahres zu erreichen, dass der Friedhof geschlossen wird«, heißt es in einer Erklärung des AFVN/BVA von Anfang Mai. Die Gräber sollen der Natur überlassen werden. Die Forderung findet auch die Unterstützung der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR), die ihren Sitz in Berlin hat. Ihr gehören 58 Organisationen aus 24 Ländern an, darunter auch Gemeinschaften ehemaliger KZ-Insassen wie das Internationale Sachsenhausen-Komitee und die Lagergemeinschaft KZ Ravensbrück.

»Es sind jetzt mehr als 70 Jahre seit dem Krieg vergangen. Das bedeutet, dass es so gut wie keine Angehörigen mehr gibt«, sieht Antifaschist und BVA-Wortführer Arthur Graaff im Lokalsender 1Limburg keinen Grund, den Soldatenfriedhof weiter zu pflegen. Bereits Mitte April warb Graaff im Gemeinderat von Venray, wozu Ysselsteyn gehört, für seinen Plan. Er forderte außerem, der Bürgermeister solle nicht mehr an den Gedenkveranstaltungen teilnehmen. Graaff stieß jedoch auf wenig Gegenliebe und musste sich von den Lokalpolitikern harsche Kritik gefallen lassen, weil er den Begriff »Nazifriedhof« benutzte.

Trouw, die alte Untergrundzeitung des niederländischen Widerstands, besuchte vor fast genau einem Jahr mit dem Historiker Joost Rosendaal von der Universität in Nijmegen den Friedhof. Rosendaal erzählte von zwei Turkmenen, die in Ysselsteyn begraben liegen. Als Soldaten der Roten Armee gerieten sie zunächst in deutsche Gefangenschaft, kämpften dann aber in der Wehrmacht weiter und vergewaltigten in den Niederlanden ein junges Mädchen. Die Deutschen exekutierten sie. Nun liegen die Turkmenen auf demselben Friedhof wie diejenigen, die sie erschossen haben.

Rosendaal nahm selbst an einer Gedenkveranstaltung der Bundeswehr in Ysselsteyn teil. »Ich fühlte mich sehr unwohl«, zitiert ihn Trouw. Immerhin liegt auch Antoine van Dijk auf dem Friedhof. »Er war ein Vollblutantisemit und Nationalsozialist. In Nijmegen war er als Polizeikommissar für eine gnadenlose Judenverfolgung verantwortlich«, so Rosendaal. Auch Willem Heubel, der erste Niederländer, der Mitglied der SS wurde, hat in Ysselsteyn seine letzte Ruhestätte gefunden.

Der niederländische Staat hat das Gelände für immer an Deutschland verpachtet. Der »Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.« kümmert sich darum. Schulklassen aus Deutschland kommen nach Ysselsteyn, um die Gräber zu pflegen. So sollen sie lernen, was Krieg bedeutet. »Muss ich stolz sein oder traurig? Muss ich sauer sein? Muss ich enttäuscht sein, dass ein Teil meiner Familie hier liegt?« fragt sich eine junge Frau in dem Dokumentarfilm von Bart Hölscher, als sie das Grab ihres Urgroßvaters besucht.

Quelle: junge Welt (jW), Ausgabe vom 24.05.2017, Seite 15 / Antifa

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Redaktion KFSR

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