„Wer zum Teufel hat sich so einen Plan ausgedacht?“ Neues über den Aufstand auf der Bremen 1935. Von Daniel Czitrom.

„Wer zum Teufel hat sich so einen Plan ausgedacht?“

Neues über den Aufstand auf der Bremen 1935.

 Von Daniel Czitrom in The Volunteer, 27. Februar 2018.

 Bill Bailey in Der Gute Kampf

Als die Bremen, ein deutscher Luxus-Liner, der stolz das Hakenkreuz am Mast führte, zum Ablegen von seinem Liegeplatz am Pier 46 in New York bereit war, konnten zwei Seeleute, die später als Freiwillige in Spanien waren, die Mannschaft austricksen und die Naziflagge herunterholen. Dan Czitrom fand in den Archiven die Aussage eines Deserteurs, die diese Geschichte belegt.

Während Forschungsarbeiten in den Ablagen des Außenministeriums im Nationalarchiv kam mir kürzlich ein seltsames Dokument in die Finger, das ein vollständigeres Bild der sogenannten Bremen-Meuterei im Jahre 1935 gibt. Das für 1.200 Passagiere ausgelegte Luxus-Schiff, das demonstrativ das Hakenkreuz führte, war am 26. Juli zum Ablegen von seinem Liegeplatz am Pier 46 in der 46. Straße in New York bereit. Eine Gruppe von Kommunisten, unter ihnen zwei Seeleute, die sich später freiwillig zum Kampf in Spanien meldeten, planten und realisierten eine wagemutige Aktion auf dem Bugspriet, indem sie das Hakenkreuz herunterrissen und im Hudson-Fluss versenkten. Tausende sympathisierende Demonstranten  applaudierten und auf dem Schiff brach ein regelrechter Aufstand aus, als die New Yorker Stadtpolizei die Ordnung wiederherstellen wollte. Einer der Polizisten wurde verprügelt, einer der Aufständischen erschossen und sechs Männer verhaftet. Der Zwischenfall landete auf den Titelseiten der Zeitungen von New York und führte zu einer diplomatischen Krise zwischen Hitlers Regierung und den Vereinigten Staaten.

Tausende sympathisierende Demonstranten  applaudierten und auf dem Schiff brach ein regelrechter Aufstand aus, als die New Yorker Stadtpolizei die Ordnung wiederherstellen wollte.

In dem Dokumentarfilm von 1982 Der Gute Kampf veröffentlicht der Matrose und Veteran der Lincoln-Brigade seinen blumigen Bericht aus erster Hand, wie er und zwei weitere quer über das Schiff rannten, sich durch die aufgeschreckte deutsche Mannschaft boxten und nach einigen Schrecksekunden wegen eines widerspenstigen Seils das verhasste Symbol des Nazismus herunterreißen konnten. Der Zwischenfall auf der Bremen aktivierte den antifaschistischen Kampf und den Einsatz der Volksfront gegen die Bedrohung durch die Naziideologie.

Titel in den Daily News. Noch immer aus dem Guten Kampf.

Einer von Bill Baileys Mitstreitern war ein weiterer Seemann, William Jamieson, bekannt unter dem Namen William Howe, als er sich 1937 freiwillig zur Lincoln Brigade meldete. 1908 in Michigan geboren, trat Howe 1934 der Kommunistischen Partei bei, die in Seattle, Baltimore, Philadelphia, und anderen Städten Matrosen organisierte. Er wurde durch den befreundeten Matrosen Harry Rubin und den künftigen Kommissar der Lincoln-Brigade John Robinson für Spanien rekrutiert. Doch wurde Howe durch seine Erfahrungen in Spanien rasch enttäuscht. Als Bill Bailey sich mit ihm dort traf, beschwerte sich Howe bitterlich über die militärische Disziplin. Er verließ mehrfach die Frontlinie und suchte im amerikanischen Konsulat in Barcelona um seine Rückführung nach Hause nach. Nach der Schlacht von  Belchite im September 1937 desertierte er endgültig und verschwand aus dem Feld radikaler Aktivitäten.

Irgendwann im Juni 1938 kam Howe wieder in New York an, wo er durch einen Spezialagenten des State Department und einen Beamten der New Yorker Polizei verhört wurde. Der stenografische Bericht im Archiv ist eine langatmige, manchmal widersprüchliche Erzählung von Howes Leben in der Arbeiterbewegung, der Kommunistischen Partei sowie seiner Zeit in Spanien. In dem Anschreiben erläutert das Außenministerium sein großes Interesse an Howes „Enthüllungen über die eingesetzten Methoden zur Anwerbung amerikanischer Bürger im Ausland für den Militärdienst in Spanien.“. Howe war ihnen mit detaillierten Angaben zur Nutzung von gefälschten oder gestohlenen Reisepässen und Geburtsurkunden gefällig. Er verleugnete seine Tätigkeit in der Kommunistischen Partei und seine Entscheidung zum Beitritt zur Lincolns-Brigade. „Sobald man in Spanien ankommt, beginnen sich die Dinge zu verändern,“ erzählte er seinen Verhörern, „weiß man rasch Bescheid. Man geht doch nicht dorthin, um als Freiwilliger dekretiert zu werden, sondern in dem Glauben, für die Demokratie zu kämpfen. Das war der Grund, warum ich hingegangen bin – nicht, um für Stalin zu kämpfen, sondern für Prinzipien, doch es stellte sich anderes heraus.“

Die SS Bremen 1931. Bundesarchiv, Georg Pahl, CC-BY-SA 3.0.

Wir können uns denken, welche Fragen Howe gestellt worden waren und welche Versprechungen (oder Drohungen) seine Verhörer gemacht hatten. Doch tat er alles, um sich von seinem früheren Leben und den Genossen zu distanzieren. Und obendrein bemühte er auch noch eine zutiefst antisemitische Interpretation seiner Misere und des Zwischenfalls auf der Bremen: „Die russischen Juden stehen hinter den kommunistischen Bemühungen zur Rekrutierung der Männer für den Kampf in Spanien und stellen die Mittel bereit… Ihr Modus operandi ist etwas ähnlich dem im Bremen-Zwischenfall, wo sie einige von uns Matrosen – Iren und Christen – anstachelten, Ärger zu machen und die Tatsache zu verschleiern, dass die Juden dafür verantwortlich waren.“

Nachstehend folgt Howes Bericht über seine Rolle beim Aufstand auf der Bremen:

Im Monat Juli 1935, es war wohl der 18. Juli, traf ich Eddie Gillette [Edward Drolette] im Arbeiter-Buchladen in der Broad Street, New York. Er trat an mich heran und fragte, wie ich zu einem neuen Job stünde. Ich fragte ihn, um was für eine Arbeit es sich handelt und er sagte: „Ich kann Dir die Information jetzt noch nicht geben. Halte Dich bereit, zieh einen Anzug an und sieh ordentlich aus. Ich fragte, um was für eine Arbeit es sich handele und er sagte: „Wir gehen auf die Bremen und laufen dort nur herum.” Ich wunderte mich und er erzählte mir von [Lawrence] Simpson, der in Hamburg verhaftet worden war, und als Seeleute gehen wir an Bord der Bremen, um mit unserer Stimme dagegen zu protestieren. Nun, ich konnte nicht erkennen, warum man in Hamburg einfach einen Matrosen von Bord nahm und verhaftete und ins Gefängnis warf. Eine Woche später, es war um den 24. oder 25. herum, traf mich [William] McCormack in der New China Cafeteria an der 14. Straße den Broadway hinunter. McCormack sagte: „Weißt Du Bescheid? Ich werde hochsteigen und das Hakenkreuz  herunterreißen und Ihr Jungs macht mir eine Gasse frei, damit ich das Schiff verlassen kann.” Ich fragte ihn, wie viele dabei sein werden, und er antwortete „fünfzig Seeleute” und dass wir Hitler zwingen werden, Simpson freizulassen. Damit war ich einverstanden. Ich sagte: O.K.

Am 26.Juli, einem Freitagabend, trafen wir uns hier in der Arbeiter-Cafeteria Union – der Lebensmittelindustrie-Gewerkschaft in der Oberstadt. Wir trafen uns dort und man gab uns Instruktionen. Der Plan war, das Schiff zu zweit oder zu dritt zu betreten und diese Demonstration durchzuführen. Wir gingen an Bord und hingen herum. Alle paar Minuten kam der Anführer vorbei und fragte nach dem Passwort. Es war 11:45. Zu diesem Zeitpunkt sollte er das Zeichen geben, das Hakenkreuz herunterzureißen. Dazu sollte es nicht kommen. Um 11:45 kam das Signal – McCormack wurde niedergeschlagen – das Ganze brach zusammen – McCormack wurde k.o. geschlagen, bevor er dort hin kam. Daly [Bill Bailey] und [Arthur] Blair waren es dann, die das Hakenkreuz herunterrissen und in den Nordstrom warfen. Ich war in der Nähe von Gillette, als er vom Polizisten Moore erschossen wurde. Zu diesem Zeitpunkt rang ich mit einem Deutschen, der doppelt so groß war wie ich. Ich wurde verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Die Kaution wurde auf 2.500 $ festgesetzt, jedoch später auf 1.000 $ gesenkt. Entlassen wurde ich auf eine Kaution von 1.000 $. Vito Marcantonio war mein Anwalt und wurde zur internationalen Verteidigung berufen. Wir dachten, wir kämpften für die Demokratie. Wir hielten es für undemokratisch, einen Matrosen vom Schiff zu holen und zu verhaften, und wir wollten Simpson auf unsere Weise frei bekommen. Das war eine große Publicity für die Kommunisten und sie machten viel Geld mit der Ausdehnung ihrer kommunistischen Propaganda. Mir wurde dies klar, nachdem die Sache vorüber war. Ich kam über die Schläge, die ich auf dem Schiff bekommen hatte, nicht hinweg. Damals war ich völlig davon überzeugt, dass es in den Vereinigten Staaten keine Gerechtigkeit gab! Ich war für die Polizei völlig nutzlos – immer wieder hatte ich Ärger wegen etwas, das mir gerecht erschien. Ich war kein überzeugter Roter Bolschevik. Ich war gegen vieles in deren Programm und deshalb wurde ich in Spanien zum Tode verurteilt. Amerikaner werden durch deren Propaganda irregeführt. Ihre Gedanken sind nicht so wie, wenn sie eine Arbeit hätten, und die Kommunisten profitieren davon.

Howes Version stützt im Wesentlichen die Darstellung von Bill Bailey im  Guten Kampf und seinen Memoiren, Das Kind von Hoboken. Andere Quellen, der offizielle Bericht der Polizei von New York, die Presseberichterstattung, ein Zirkularbrief der Kommunistischen Partei sowie Gerichtsprotokolle, bereichern die Darstellungen und geben Aufschluss über den folgenden internationalen Aufruhr. Am Anfang der Geschichte stand offensichtlich eine kleine Gruppe kommunistischer Seeleute, einschließlich Bailey, die durch die jüngste Verhaftung des Seemannskumpels Lawrence Simpson in Berlin aufgebracht waren, der wegen der bei ihm gefundenen, zur Verbreitung in Deutschland bestimmten antifaschistischen Literatur ins Gefängnis geworfen worden war. Die Ortsgruppe der Kommunistischen Partei an der 10. Straße, in der viele Seeleute und Dockarbeiter waren, gaben einen Rundbrief mit der Ankündigung einer Protestdemonstration heraus. An die „Katholiken von New York“ gerichtet (vielleicht ein Fingerzeig  für die starke irische Bevölkerung in der Nachbarschaft), rief er auch Juden, Kommunisten und alle Antifaschisten auf, sich gegen Hitler zu vereinigen und und für die zivile und religiöse Freiheit in Deutschland zu kämpfen. Durch einen Informanten hatte die örtliche Polizei eine Kopie des Rundschreibens erhalten und zeigte es dem Chef der Hamburg-Amerika-Linie. Doch die Schiffsgesellschaft lehnte den Plan der New Yorker Polizei ab, Polizeibeamte an Bord des Schiffes zu nehmen; sie verließ sich stattdessen auf fünfzig Privatdetektive. Die NYPD schickte 50 Beamte und zehn berittene Polizisten zur Begleitung der am Pier 86 geplanten Demonstration.

Am Anfang der Geschichte stand offensichtlich eine kleine Gruppe kommunistischer Seeleute, einschließlich Bailey, die durch die jüngste Verhaftung des Seemannskumpels Lawrence Simpson in Berlin aufgebracht waren.

Der ursprüngliche Plan der Führung der Ortsgruppe der KP rief Bailey, Howe und ein Dutzend weiterer Männer auf, sich Anzüge anzuziehen und unter Vorgabe der Verabschiedung von abreisenden Verwandten an Bord des Schiffs zu gehen. (Das Schiff verlangte zehn Cent für diese Möglichkeit und jeder der Teilnehmer bekam einen Groschen für die Bezahlung.) Sobald das Signal „Alle Mann an Bord” ertönte, das die Besucher zum Verlassen des Schiffs aufforderte, sollten die Männer nach Plan einen Korridor zum Bug bilden, um einem oder zweien von ihnen zu ermöglichen, das Hakenkreuz zu ergreifen und es an Land zu bringen, wo es durch die Demonstranten mit Benzin übergossen und verbrannt werden sollte. Doch die Seeveteranen waren skeptisch. „Wer zum Teufel hat sich einen  solchen Plan ausgedacht?“ fragte Bailey. „Ich glaube, irgendein Trottel, der noch nie ein Schiff gesehen hat,“ entgegnete ein anderer.

Titel in den Daily News. Noch immer aus dem Guten Kampf.

In der Zwischenzeit wuchs die lärmende Demonstration an Land zu Tausenden Teilnehmern an, die Leute trugen Plakate und Fahnen und skandierten antifaschistische Losungen. Als das Signal „Alle Mann an Bord“ um 11:40 abends ertönte, traten die Männer in Aktion. Doch bei den deutschen Wachoffizieren und Dutzenden Privatagenten an Bord mussten sie ihren Plan revidieren und improvisieren. Eine Gruppe bahnte sich den Weg zur Steuerbordseite bis zum Bug, wobei sie Mannschaft und Polizisten ablenkten, während eine Dreiergruppe auf der Backbordseite mit der Absicht zum Bug vordrang, das Hakenkreuz herunterzureißen. Der Matrose William “Lowlife” McCormack schlug einen deutschen Offizier nieder, der die Leute befragen wollte, und wurde dann selbst durch einen NYPD-Beamten geschlagen. Bailey konnte schließlich mit Hilfe der Matrosen Arthur Blair und Adrian Duffy das Hakenkreuz abschneiden und flatternd in den Hudson-Fluss werfen. Bailey, Howe und vier weitere Männer wurden verhaftet, einschließlich Eddie Drolette, dem durch einen Polizeibeamten in den Oberschenkel geschossen wurde. Die verhafteten Männer wurden durch Polizeibeamte am Pier „bearbeitet“ und anschließend zur Wache des Achtzehnten Bezirks in der Nähe der 47. Straße gebracht. Draußen rief eine wilde Menge von 1.000 Demonstranten einmütig: “Lasst die verhaften Matrosen frei!”

„Wer zum Teufel hat sich einen  solchen Plan ausgedacht?“ fragte Bailey. „Ich glaube, irgendein Trottel, der noch nie ein Schiff gesehen hat,“ entgegnete ein anderer.

Es folgte ein diplomatischer Feuersturm. Der deutsche Botschafter in Washington protestierte  emphatisch im State Department, forderte eine Entschuldigung für eine ernste Beleidigung und forderte eine strenge Bestrafung der Schuldigen. Bürgermeister Fiorello LaGuardia wies eine Entschuldigung mit dem Hinweis zurück, dass die Schiffseigner ein Angebot der New Yorker Polizei zur Unterstützung zurückgewiesen hatten. Präsident Franklin Roosevelt lehnte einen direkten Kommentar der Angelegenheit ab, doch ließ er seine Auffassung wissen, mit den Protesten der amerikanischen Juden in deren Protesten gegen Deutschlands religiöse Unterdrückung zu sympathisieren. Anfang September goss der Amtsrichter Louis Brodsky weiteres Öl ins Feuer, als er die Anklagen (verbrecherischer Angriff und rechtswidrige Zusammenrottung) gegen Bailey, Howe und deren Verbündete aufhob. Brodsky, selbst ein Jude, schrieb ein mutiges Urteil mit der Ablehnung des Nazismus, in dem er vermerkte, dass „das durch das Hakenkreuz repräsentierte Regime einen gnadenlosen Krieg gegen die Religion, gegen die Freiheiten führt. Das Regime stiehlt dem Volk die elementarsten Freiheiten lediglich vor dem Hintergrund seiner Herkunft und religiösen Überzeugungen.“  Der Bremen-Zwischenfall wurde „durch dieses zur Schau gestellte Emblem”  provoziert, “das als trotzige Herausforderung der Gesellschaft betrachtet wurde.“ Der Pressesekretär des pro Nazideutschland eingestellten Amerikanischen Bundes empörte sich über Brodskys Urteil, nannte es „einen weiteren Beweis für die weltweite jüdisch-kommunistische Verschwörung gegen das neue Deutschland.“ Der Außenminister Cordell Hull sandte der deutschen Regierung eine Note mit dem „Bedauern” über das Brodsky-Urteil.

Der Pressesekretär des pro Nazideutschland eingestellten Amerikanischen Bundes empörte sich über Brodskys Urteil, nannte es „einen weiteren Beweis für die weltweite jüdisch-kommunistische Verschwörung gegen das neue Deutschland.“

Am 15. September erhob die deutsche Regierung das Hakenkreuz-Banner, einst das Symbol der Nazipartei, in den Rang der einzigen Flagge des Deutschen Reichs. Es bestätigte auch eine neue Gesetzgebung, die die deutschen Juden ihrer deutschen Staatsbürgerschaft beraubte und gemischte Ehen zwischen Juden und Nichtjuden verbot. In seiner Rede vor dem Reichstag bezog sich Hitler direkt auf den Bremen-Zwischenfall und Amtsrichter Brodsky – „eine Illustration der Haltung des Judentums gegenüber Deutschland” – als Rechtfertigung für die neuen sogenannten „Nürnberger Gesetze“.

Daniel Czitrom ist emeritierter ALBA-Vorsitzender und kürzlicher Autor von New York im Rampenlicht: Der Polizeiskandal des Goldenen Zeitalters, das die fortschrittliche Ära einläutete.

Übersetzung: JOWI – übersetzungen.de

Redaktion KFSR

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